Gebrauchsanweisung für die Welt
nicht ausgewertet, aber wir, wir Weltreisende aus dem fernen Westen, könnten doch sagen: O.k., die ersten fünf haben wir schon abgehakt. Und die letzten zwei? Ach, wie simpel: ein Foto mit den Augen der Liebsten (des Liebsten). Und siebtens? Himmel, das liegt doch auf der Hand: eine Ritter Sport - Schokolade, Nougat. Wer an ihr knabbert, beißt mitten hinein ins Glück.
Tricks
Ich mag die Gutmenschen nicht, sie sind mir zu gut. Ich misstraue ihnen, vielleicht tragen sie nur die Maske des Guten. Zudem haben sie den Kopf voller Flausen statt voller Wirklichkeit. Sie schauen nicht hin, sie schauen weg. Sie wollen die heile Welt, mit lauter heilen Menschen.
Aber die haben wir nicht. Wir haben augenblicklich einen Planeten, der von ziemlich vielen Unheilvollen ruiniert wird. Dass die meisten, also wir – ob nun Gutmensch oder nicht – via Gier am Unheil mitarbeiten, ist ein alter Hut. Denn der große Haufen brüllt noch immer – mit himmelwärts verdrehten Augen wie in einem Dick-und-Doof-Film – nach Wachstum. Der entfesselte Schwachsinn, wie üblich. Ist uns Habsüchtigen, jenen, die von der Sucht nach Haben nie genug bekommen, noch zu helfen?
Reisende sind ein bisschen schlauer. Mit einem Teil ihres Geldes kaufen sie weder Blech noch Beton, sondern so federleichte Sachen wie ein Ticket. Fünf Gramm wiegt das Stück Papier, ist gut anzusehen und braucht keine fünfzigtausend Jahre, um zu verwittern. Es liegt elegant in der Hand und gilt als Passierschein in die Welt. »Erdkunde« einmal anders: einmal direkt, sinnlich, mit allen Sinnen erfahrbar. Für ein paar Tage, für ein paar Wochen, für ein paar Monate. Zum Vergnügen kommt die Nützlichkeit. Denn Reisen nutzt (auf das Nutzlose komme ich noch zu sprechen) der Gegenwartserkenntnis, der Freude am Leben. Trotz alledem. Trotz der Hyänen, mit denen wir den Planeten teilen müssen.
Zugegeben, das folgende Kapitel ist stark davon beeinflusst, dass ich als Reporter arbeite, sprich, nur immer eine Aufgabe habe: Geschichten zu finden, die es wert sind, dass ein lesender Mensch dafür bezahlt. Mit seinem Geld und – unbezahlbar – seiner Lebenszeit.
Aber jeder von uns, ob nun Schreiber oder einfach nur reisender Weltverliebter, sucht nach Storys, die ihm helfen, seinen Platz genauer zu bestimmen. Über den Umweg der Ferne kommt er anderen nah. Und sich. Nur trauen muss er sich. Und ein paar Tricks sollte er kennen. Damit er haarigen Situationen entrinnt und an die vielversprechenden rankommt.
Wer allerdings zu den geistig eher nachlässig Beschenkten gehört, die uns auffordern, immer stante pede »die Wahrheit« zu sagen, der sollte jetzt mit dem Lesen aufhören. Hätte ich sie immer ausgesprochen, ich säße nicht an diesem Montagmorgen am Schreibtisch, um mich an dem vorliegenden Text abzuarbeiten. Der Ewig-Wahrheitssager ist ein Strohkopf, der nichts vom Weltenlauf und den Weltbewohnern verstanden hat. Denn wir hätten – schleuderten wir uns 24 Stunden pro Tag die nackten Tatsachen um die Ohren – einen Weltkrieg nach dem anderen. In bestimmten Umständen, bestimmten wohlgemerkt, gehört Flunkern oder auf Biegen und Brechen die Wahrheit Vermeiden zu den respektvollsten Handlungen, zu denen ein Mensch einem anderen gegenüber imstande ist. Dass, wieder unter bestimmten Gegebenheiten, die Wahrheit laut und deutlich Aussprechen ein Akt von Zivilcourage und Anstand ist, auch das wissen wir. Wir, die wir bisweilen kichernd und schuldgefühllos schwindeln. Ich pfeife auf das gute Gewissen, wenn es mich am Leben hindert.
Konkret. Ich bin in Néma, in Mauretanien, der letzten Stadt vor der Grenze nach Mali. Ich brauche einen »Ausreisestempel«. Überraschenderweise ist der Stempelbesitzer, so berichtet sein Kollege, bereits nach Hause gegangen. Um drei Uhr nachmittags. Aus dem Afrikanischen übersetzt heißt das nichts anderes, als dass man einen Schein übergeben muss. Damit der Stempel auf magische Weise wieder auftaucht. Aber diesmal – nach manchem Debakel – halte ich eine Finte bereit, die kaum noch zu toppen ist. Ich ziehe eine französische Ausgabe des Korans heraus und lese glaubensfest und pathetisch den dick unterstrichenen Vers 14 aus der Sure vier vor: »Doch wer Allah und seinen Gesandten widerspricht und Allahs Richtlinien überschreitet, den wird er ins Feuer eintreten lassen, darin wird er ewig bleiben. Und für ihn ist eine erniedrigende Peinigung bestimmt.« Dramatischer und höllischer kann man es nicht erfinden.
Die drei
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