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Gebrauchsanweisung für die Welt

Gebrauchsanweisung für die Welt

Titel: Gebrauchsanweisung für die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Wobei der letzte Aufruf der wichtigste ist. Als Todfeind gilt die Maßlosigkeit. Ein Blick auf die Fresssüchtigen, Glotzesüchtigen, Promillesüchtigen und unterarmgelöcherten Heroinspritzer soll warnen. So kann man eines Tages aussehen, wenn man nicht verstanden hat, sich die Lust einzuteilen. Der Verzicht ist so entscheidend wie die Hingabe. Wer das begriffen hat, der ist gewappnet. Für den Rausch, für das Rauschmittel.
    Bin ich auf Reisen, greife ich häufiger zu. Denn dort ist es anonymer. Jedem Dealer erzähle ich einen falschen Namen, eine falsche Nationalität. Ich will genießen, nicht eines Tages Leute abwimmeln müssen, die vor meiner Haustür stehen. Der andere Grund: Reisen – und als Reporter erst recht – heißt Stress. Immer rennen, immer aufspüren, immer einen Fremden zum Beichten einer Geschichte bewegen, das strapaziert. Was besänftigt dann tiefer, als sich – nach Umwegen durch ein Gewirr von Gassen – neben einen Opium-Baba auf den Boden zu legen, ihm zuzusehen, wie er, ebenfalls liegend, die Pfeife präpariert und – nach Minuten der Vorfreude – sie an mich weiterreicht: an den »Gast«, der selbstverständlich für die Gastfreundlichkeit bezahlt (vorher, diskret). Und ich, der Gast, bedachtsam das Gift in mich hineinziehe. Und ihm, dem Gastgeber, nach zwei, drei Zügen die Pfeife zurückreiche. Auf dass er ebenfalls raucht und ihn der Rausch heimsucht. So geht das hin und her, ganz still und meditativ, kein Wort fällt, nur zwei Erwachsene, die rauchen, schweigen, rauchen. Ist der Pfeifenkopf leer, nach vielleicht zwanzig Minuten, legt der Baba über einer kleinen Feuerstelle nach, kontrolliert den Zug und offeriert das Teil, länger als eine Blockflöte, wieder seinem Kunden. Und die nächste Runde Rauchen, Teilen, Schweigen, wieder Rauchen beginnt.
    Befindet sich die Opiumhöhle, wie im konkreten Fall, auf einer vietnamesischen Dschunke, die sanft im Mekongdelta schaukelt, dann ist der romance -Quotient kaum noch zu überbieten. Dass die Heimlichkeit zudem gesetzwidrig ist, erhöht noch einmal das Wohlgefühl. Es gibt eben Leute, die es schlichtweg satthaben, dass ihr Leben ununterbrochen von erigierten Zeigefingern umstellt wird. In ihnen funktioniert noch der Trotz-Muskel: Jetzt erst recht! Sie gehören zu der ungeheuren Minderheit, die Karl Kraus’ Frage »Gibt es ein Leben vor dem Tod?« unverschämt laut mit »Ja« beantworten dürfen.
    Geduld, Leser, die Vorstellung ist noch nicht zu Ende. Nach mehreren Durchgängen signalisiert der Kunde: »Danke, es reicht.« Dann erhebt er sich bedächtig (schnell geht nicht) und begibt sich auf das Sofa in der Ecke. Immer vorhanden, wenn es sich um eine anständige Opiumhöhle handelt. Dort chillt er aus, spürt nach, wie sich die Droge in seinem Körper verläuft. Ein Glücksrausch hebt an, denn Opium macht einen zu aller Welt Freund. Man liebt jede und jeden, ja die ganze Menschheit. So wird die Erfahrung, dass man mit sich und dem Weltall haltlos einverstanden sein kann, zu einem grandios friedvollen Erlebnis. Ich habe sie mir auf allen fünf Kontinenten geholt und nie bereut.
    Crack gibt es in einem crack house . Ich habe wochenlang in New York in einer solchen Bruchbude gelebt. Zwischen Sperrmüllmöbeln, Fünf-Dollar-Nutten und obdachlosen Kriminellen. Crack ist die Billigausgabe von Kokain und zieht wie eine Rakete unter die Schädeldecke. Mittels einer kurzen Glaspfeife, auf die man vorne, auf eine Art Gitter, den »rock« legt, die fingerspitzenkleine Portion. Sie ist kein Glücksbringer, dafür macht sie wach, sensibel, ungemein lebenshungrig. Sie verleitet zu Sex, zum Dauerreden und Berühren. Ich habe während dieser Zeit für mindestens tausend Dollar geraucht und oft gelächelt. Auch über den apokalyptischen Nonsens, der über diese Droge in der Presse verbreitet wird: »Einmal probiert, lebenslänglich abhängig!« So reden jene, die von anderen abschreiben, die ebenfalls keine Ahnung haben. Wieder die typische Schreckensprosa, wieder einer, der mit moraldick geschwollenem Zeigefinger zum braven Leben rät.
    Reisen öffnet Türen. Auch jene, die in verbotene Räume führen. Meist gehe ich hinein. Weil irgendetwas mich treibt. Und weil ich mir bewusst bin, dass keiner je imstande ist, all die sagenhafte Vielfältigkeit menschlicher Existenz zu erleben. Also erfahre ich, so viel ich vermag. Wenig genug.
    Ich habe von manchen Drogen gekostet. Immer wieder. Und immer wieder mit Freude. Auch von Kokain, von Heroin (oral

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