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Gebrauchsanweisung für die Welt

Gebrauchsanweisung für die Welt

Titel: Gebrauchsanweisung für die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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meinem Versteck und Farin sagte, ganz ruhig und souverän unfähig, irgendwelche Zusammenhänge herzustellen: »Ist das Schicksal der beiden nicht furchtbar?«
    Am nächsten Morgen bin ich davon. Ohne Koffer mit doppeltem Boden. Und ohne Farin zu informieren. Ich hatte die letzten Wochen fast täglich Heroin geraucht (»chasing the dragon«), ich brauchte Abstand. Und ich wollte meine Peshawar-Story in Sicherheit bringen, wollte nicht enden wie zwei Aussies, die ganz offensichtlich den Punkt ohne Wiederkehr überschritten hatten. In ihren Augen schimmerte der Exitus. Am Ende des Gesprächs hatte einer der beiden zu Farin gesagt: »I’m fucked.« So reden nur die, die wissen, dass sie verloren haben.
    Dennoch, das Kapitel soll heiter enden. Weil Drogen zum Weltfrieden und zum Ich-Frieden beitragen können. Eine Zeit lang allemal – wenn man sie beherrscht, sie so einsetzt, dass sie das Leben weiten und nicht auszehren. Denn jede einzelne Begegnung mit den so ambivalenten Rausch-Giften hat mir etwas über mich beigebracht, über den Kosmos in mir, über das viele Verborgene, Geheimnisvolle, das viele, das ich ohne die Hilfe von »außen« nie gefunden hätte. Und, ganz unverkennbar: Je mehr ich von mir wusste, desto mehr wusste ich vom Universum der anderen, ihren Rätselhaftigkeiten, ihren Tiefen und tief verborgenen Verstecken.
    Hier nun das Heitere: Ich bin mit dem wunderbaren Wladimir, meinem Übersetzer, in Kirgisien unterwegs. Dem Land mit der schönsten Liebesgeschichte, mit Tschingis Aitmatows Dshamilja . Wir haben ein eigenes Auto und irgendwann steht am Straßenrand ein Mann, der heftig winkt. Ja, sage ich, er darf mit, aber nur, wenn er uns eine Geschichte erzählt.
    Und Ichtiar, der hauptberuflich als Polizist arbeitet und nebenberuflich als Schwarzhändler, nickt lässig. So verstauen wir seine drei großen Flaschen Spiritus (!) im Kofferraum. Die sechs Liter wird er verdünnt weiterverkaufen. Das Geschäft, verkündet er zufrieden, läuft bestens, denn der Fusel ist billiger als Wodka.
    Natürlich sind sie auch in Zentralasien scheinheilig. Denn der vulgäre Taumel ist erlaubt, jeder darf sich hier so lange volltanken, bis er umkippt. Und wir sahen so manchen, der noch eine Weile schwankte und dann aufschlug. Das Erstaunlichste daran: Kein Mensch nahm Anstoß, der Anblick einer Alkoholleiche gehörte wohl zur Folklore.
    Der kleine Inspektor ist Teil der – stolz spricht er das Wort aus – »Anti-Drug-Squad«, sucht nach den Produzenten und Verbreitern hiesiger Drogen. Er ist ganz unscheinheilig, erzählt, dass er selbst nicht trinkt, aber sich durchaus an der beschlagnahmten Beute vergreift. Nicht als Dealer, sondern als vergnügter Konsument. Das jedoch ist nicht die Geschichte, klingt sie doch noch immer konventionell. Was den kirgisischen Beamten auszeichnet, ist sein Herz, sein Einfallsreichtum. Denn einem verstockten Delinquenten, der seine Hintermänner und Zulieferer nicht preisgeben will, verbeult er nicht die Kieferknochen, reißt ihm auch keinen einzigen Fingernagel aus, nein, er bietet dem Schweigsamen einen Joint an. (Und sich auch.) Selbst gedreht, feine Qualität, würzig. So kann nur ein Experte handeln, hat er doch so vieles von der Materie verstanden, auch verstanden: Haschisch rauchen entspannt. Und gemeinsam rauchen fördert die Kommunikation, das Plaudern, das Ausplaudern. Und irgendwann singt der Renitente. Und Ichtiar schreibt mit.
    Es kommt, wie es kommen musste. Ich lächle hungrig und der weise Kirgise holt aus der linken Jackentasche seinen »Proviant« hervor. So metaphorisch nennt er die Blechschachtel. Und wie selbstverständlich zündet er einen zigarettenlangen Reefer an und reicht das Geschenk weiter an mich (Wladimir hat Angst vor Drogen). Und bedient sich selbst. Wir haben keine Angst und wir inhalieren gefasst. Und schauen auf die Welt, die links und rechts an uns vorbeizieht, die endlosen Wiesen, überzogen von rotem (!) Mohn und Regenbogenblumen. Ich wette, dass Highsein empfänglicher macht für Schönheit. Man kommt der Welt näher, ist unverzagter, vertrauensvoller.
    Es gibt ein Glück, wie jetzt in dieser halben Stunde, das man erst lernen muss hinzunehmen. Weil es aus irgendeiner Herzkammer flüstert, dass man dafür einmal bestraft wird. Denn so viel Seligkeit darf einer nicht haben. Diesen Schwachsinn bekamen wir als Kinder verpasst. Damit wir uns ducken wie jene, die ihn uns eingetrichtert haben. Doch als Devise hat dieser Mumpitz in einer

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