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Gebrauchsanweisung für die Welt

Gebrauchsanweisung für die Welt

Titel: Gebrauchsanweisung für die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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entfernt war am 12. Dezember 1928 Tschingis Aitmatow geboren worden. Dreißig Jahre später würde er ein Buch schreiben, von dem der französische Schriftsteller Louis Aragon behaupten sollte, dass es »die schönste Liebesgeschichte der Welt« sei. In über achtzig Sprachen wurde sie veröffentlicht. Die Geschichte von Dshamilja  – so auch der Titel – und Danijar. Die hier spielte, hier während eines längst vergangenen Sommers.
    Ich ging hinunter zum Fluss, wo noch vieles so war wie damals, vor langer Zeit, als ich den Schauplatz gefilmt hatte. Damals in meinem Kopf, während der Lektüre. Der Getreidespeicher, die Pferde, die Wälder, das Geräusch des Wassers, die Einsamkeit eines so riesigen Landes.
    Flashback, die Story: Es war das dritte Kriegsjahr und viele im Dorf wurden zum Erntedienst abkommandiert. Stalin orderte, denn die Truppen mussten versorgt werden. Die schöne Dshamilja wurde hofiert und war nicht zu haben, auch wenn sich ihr Mann an der Front befand. Jeder musste hart arbeiten, auch der versonnene Danijar, der kriegsverletzt hierher versetzt worden war. Jeden Tag fuhren die beiden den Weizen von den Feldern zum Bahnhof.
    Danijar war kein Mann zum Träumen, kein Sieger, er war verschlossen, er hinkte und stand eher abseits der anderen. Die Nähe zwischen den beiden fing erst an, als der junge Kerl eines Abends – die Zügel des Heuwagens in der Hand – zu singen begann. Ein Lied über die Leidenschaft zum Leben und die Liebe zu dieser Landschaft. »Bald«, schrieb Aitmatow, »schwang es sich empor wie die kirgisischen Berge, bald dehnte es sich frei und weit wie die Kasachensteppe.« Wie ein Feuer, so scheint es, kamen Melodie (und Worte) über Dshamilja. Die sie verzehrten. Und sie bannten. Sie begriff in diesen Augenblicken, dass der unscheinbare Mensch neben ihr über einen Gefühlsreichtum verfügte, der ihrem eigenen Empfinden so genau, so tief entsprach.
    Ja, ich hatte beim Lesen der Geschichte meine Bedenken. Und nun wusste ich, warum: Weil ich diese Lieder nicht gehört, nicht den Zauber und die Verwüstungen vermutet hatte, die sie anrichten konnten. Nun aber lag ich mit dem Rücken auf einer Wiese und sah – blauschwarz unter blauem Himmel – einen Raben ziehen. Und ich schloss die Augen und flog in Kopfgeschwindigkeit zurück ins Panzerschiff-Sanatorium. Wo Guldschan schon wartete und mich von Neuem überflutete. Jetzt begann ich zu verstehen, jetzt war Dshamilja die schönste Liebesgeschichte der Welt.
    Dieser Nachmittag auf der Wiese in Sheker war der magische Moment. Ich war randvoll von der Idee einer Liebe, die alles niederriss, alle Angst, alle Moral. Und jeden Kampf gewann gegen die Anwürfe der Spießer, der schiefmäuligen Ungeliebten. Ich lag nicht mehr auf dem Gras, ich flirrte. So luftleicht war ich, so überschwänglich, so mitgenommen vom Schicksal zweier anderer.
    Irgendwann fand mich Wladimir. Er hatte eine Schwarzmarkt-Spelunke ausfindig gemacht, es war Zeit zum Abendessen. Eine halbe Stunde später wusste ich, dass es Tage gibt, da kann man das Glück kaum aushalten. Weil es in einer Intensität auftritt, die nur noch schwächt. Wie jetzt: Wladimir erzählte von den Sowjetjahren und dem täglichen Gerangel, um genug Rubel für den Unterhalt der Familie zu organisieren.
    So fragte ich ihn, was er denn mit viel Geld unternehmen würde. Sollte es eines Tages auftauchen. Und der Russe, wieder staubtrocken und uneinholbar begnadet: »Als erstes würde ich meine Frau neu verkleiden.«
    An diesem Abend in Kirgisien liebte ich alle. Den russischen Schriftsteller, seine beiden Liebenden, Wladimir und seinen märchenhaften Umgang mit der deutschen Sprache. Wie aus einer Wundertüte zauberte er Sätze und schenkte sie der Welt.

Drogen
    Das ist ein explosives Thema. Zumal in Zeiten, in denen der Gesundheitsterrorismus umgeht. In denen Fitness-Ayatollahs darauf bestehen, dass wir gesund sterben, ganz und gar unversehrt. Zeiten, in denen jeder Bürger beim Gang in den Supermarkt sein eigenes Labor mitschleppen soll. Um zu checken, wie viel Teufelswerk, wie viel Pestizide, Farbstoffe, Zucker, Kalorien, etc., etc., etc., etc. in jedem Nahrungsmittel stecken. Zeiten, in denen Bio-Stalinisten jeden Nichtraucher zum Opfer massenmordender Raucher erklären, ja, Ökospießer uns mit ihren heillosen Leichenbitter-Slogans – »Viel Gemüse! Viel Obst! Viele Feigen aus jordanischen Palmengärten! – die Lebensfreude vergällen. Ahnen diese Erlösungsjünger nicht, wie

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