Gebrauchsanweisung für die Welt
geriet in einen Hinterhalt. Ruhmsucht? Gedankenlosigkeit? Fünf Minuten Abwägen, vorher, hätten ihm sagen müssen, dass die Chancen eins zu nichts standen. Aber er wollte trotzdem mit. Und fiel erschossen vom Panzerwagen. Im Auftrag eines bunten Heftchens, das ihm anschließend einen Nachruf von zehn Zeilen spendierte. Dafür sterben? Als Vierzigjähriger? Ich nicht. Ein Dritter, ein Fotograf, beging Selbstmord. Aus mehreren Gründen. Wegen Drogen und Schulden, aber auch wegen der herzzerreißenden Szenen, mit denen er auf seinen Reisen konfrontiert worden war. Gastod mit 33. Zu viel Gewalt und Angst zu begegnen tut auch nicht gut.
Der amerikanische Reporter Sebastian Junger schreibt in seinem Buch War. Ein Jahr im Krieg : »Krieg muss als schlecht gelten, denn im Krieg geschehen zweifellos schlechte Dinge, aber ein Neunzehnjähriger am Abzug eines .50 Maschinengewehrs während eines Feuergefechts, das alle überstehen, erlebt den Krieg als einen so extremen Nervenkitzel, wie sich niemand ihn vorstellen kann. In mancher Hinsicht verschaffen zwanzig Minuten Kampfgeschehen mehr Lebensintensität, als man sie in einem ganzen Dasein zusammenkratzen kann.«
Auch klar, ich schreibe hier keine Kriegsfibel und auch keine Rezeptsammlung, um unverkrüppelt ein Stahlgewitter zu überstehen. Wie denn? Habe ich es doch nicht einmal zum Gefreiten in die Bundeswehr geschafft. Außerdem finde ich die Vorstellung ziemlich anstrengend, nur ein gutes Viertelstündchen lang den Rausch erfahren zu dürfen und die restliche Zeit meines Hierseins rauschlos absitzen zu müssen. Nebenbei fragt man sich natürlich, wie versaut einer sein muss, wenn ihn der ultimative Kick erst dann einholt, wenn er andere auslöscht. Und das nicht einmal, weil er sich dafür entschieden hat, nein, er knallt ab, weil ein »Befehlshaber« ihn dazu auffordert. Aber das ist ein anderes Kapitel.
Ich muss nicht töten, um mich am Leben zu spüren. Und umgekehrt: Ich will mich auch nicht foltern lassen, um zu wissen, was dabei passiert. Nicht viel, vermute ich, denn ich würde bald singen und alle verraten. Schon wieder tauge ich nicht als Vorbild.
Ich will in diesem Kapitel eher davon reden, dass man den haarsträubenderen Begegnungen nicht grundsätzlich aus dem Weg gehen soll. Sondern sie akzeptieren. Auch sie machen reicher. Konfuzius notierte einst: »Der echte Reisende ist immer ein Landstreicher, mit Freuden und Versuchungen.« Ah, über ein Land streichen und auf freudige Weise versucht werden. Wenn das nicht als Aufforderung wirkt, sich davonzuschleichen, aus der Tristesse der Vorhersehbarkeit. Ist es da nicht fair, im Gegenzug ein wenig Angst und Schrecken auszuhalten? Damit nie – auch nicht auf Erden – zeitlos ewiger Frieden ausbricht. Mit sieben Milliarden Gutmenschen. Die jeden Tag lieb sind, brav sind, von früh bis spät sich streicheln, kuscheln und abends vor der untergehenden Sonne – Händchen haltend und weiß gewandet – frohlocken: »Wir alle sind eins. Du und ich und ich und du, wir alle, alle, allerlei!« Dann doch lieber in den Krieg ziehen.
In der Geschichte der deutschen Sprache gibt es eine interessante Fußnote, die zum Thema passt: Früher war der Lebenskreis auf den Wohnort und die nähere Umgebung beschränkt. Jenseits davon begann das »Ausland« und dort zu sein hieß, »elibenti« zu sein. Unser Elend stammt von diesem althochdeutschen Wort ab. Auf Reisen ging nur, wer unbedingt musste. Die wenigen »Fernstraßen« waren raue Pisten, und der Wald – damals noch überall – erschien als feindseliger Urwald. Wer dort hineinmusste, fühlte sich »elendiglich«. Reisen hatte einen gefährlichen Beigeschmack.
Nun, dank weltweiter Anstrengungen, unser Leben zu einem Schnullerleben – mit Sicherheitsknöpfen, Sicherheitssteckdosen, Sicherheitsschuhen, Sicherheitsschlössern, Sicherheitsdatenblättern, Sicherheitsbeauftragten, Sicherheitsbedenken, Sicherheitsaufrufen und Sicherheits-Sofortmaßnahmen – kleinzuschrumpfen, wurde der Beigeschmack inzwischen schaler. Für Leute jedoch, die als Erwachsene gern wie Erwachsene aussehen und ohne rutschsichere Strampelhose morgens ihre Wohnung verlassen wollen, gibt es noch ein paar Ecken auf den fünf Kontinenten, die ohne Sicherheitscheckliste und panic button hinter jeder Türklinke auskommen. Wie beruhigend.
Wenn ich heute das Dossier durchsehe, in dem ich alle heiklen Momente eingetragen habe, die mir – als ahnungslosem Reisenden oder als alarmiertem Reporter –
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