Gebrauchsanweisung für die Welt
Seine heiseren Aufrufe zum Abschießen aller »enemies« – er selbst war in Las Vegas liquidiert worden – wurden hier gern gehört. Wir waren rechtzeitig zur Stelle. Als wir in die Manenberg Avenue einbogen, sahen wir hundert Meter weiter drei Casspir stehen, gepanzerte Truppentransporter, eingekeilt von atemlosem Gebrüll. Wir kamen näher und gingen die letzten zwei Blocks zu Fuß. Aldino sollte mit laufendem Motor auf uns warten.
Der nackte Hass kochte, zwei Dutzend Polizisten umzingelten mit gezogener Waffe – Schrotflinten und Pistolen – ein Haus. Und die Bewohner und Nachbarn, weit über hundert, umzingelten die Polizei, brüllten ihnen die Verachtung ins Gesicht, nannten sie »a bunch of monkeys« und »a bunch of assholes«, beschuldigten sie als »corrupt and paid by Staggie«. Wir gehörten ab sofort ebenfalls zu den Arschlöchern, denn sie hielten uns für Vertreter der lokalen Presse, rissen an den Fotoapparaten, glaubten, dass wir für Rashid Staggie recherchierten: um ihn mit Bildern der Anwesenden zu versorgen, als Vorlage für nächste Hinrichtungen.
Was war passiert? Eine Straße weiter waren vor einer knappen Stunde drei Leichen weggeräumt worden. Alle drei gehörten zur hier ansässigen Bande der Clever Kids , alle drei waren von der Konkurrenz-Gang der Hard Livings – mit Rashid Staggie als Boss – exekutiert worden. Grund des barbarischen Standgerichts: Höchstwahrscheinlich ein turf fight , ein Kampf um Straßenzüge, wer wo »Schutzgelder« kassieren durfte. Denn Taxifahrer und Ladenbesitzer mussten zahlen. Um sich davor zu schützen, von ihren Beschützern über den Haufen geschossen zu werden.
Augenblicklich durchsuchte die Polizei die Wohnung mehrerer Clever Kids und konfiszierte die Waffen. Deshalb diese schäumende Wut der Anwohner. Sie hielten die Ordnungskräfte für Komplizen der Hard Livings , sahen sich um ihre Rache gebracht. Dass ein Teil der Gehassten tatsächlich nichts zur Aufrechterhaltung bürgerlicher Rechtsstaatlichkeit beitrug und vor Korruption stank: wie wahr. Jeden Tag berichteten die Medien darüber. Aber viele stanken nicht. Hier riskierten sie gerade ihr Leben. Denn der Mob rückte näher und schien zu allem bereit. Die Polizisten ließen die Schäferhunde los und luden ihre Pumpguns durch. Als die ersten Verhafteten aus der Wohnung geführt wurden, steigerte sich der Volkszorn zu kreischender Hysterie, erste Schüsse knallten, von beiden Seiten. Drei Handbreit neben dem Fotografen – ich stand immerhin einen Meter weiter weg – schlugen zwei Kugeln ein. Letzter Aufruf, die Flucht anzutreten. Gebückt hinter einem der Panzerwagen, die sich jetzt ebenfalls unter Feuerschutz zurückzogen, schafften wir die ersten fünfzig Meter. Dann rannten wir schreiend und deckungslos Richtung Aldino, der auf uns zuschoss. Sekunden später waren wir aus der Gefahrenzone.
Was jetzt ins Brevier der Weltkunde schreiben? Das: Versuchen, sich einen beweglichen Körper zu bewahren! Um im Bedarfsfall rechtzeitig in eine bleifreie Gegend zu gelangen. Und nebenbei üben: die Albträume aushalten, die sich monatelang wiederholen! Eine Spur genauer gezielt und ich hätte jetzt einen toten Freund mehr. Doch auch die folgenden Empfindungen sind unvermeidlich, nach überstandener Bedrohung: der rauschähnliche Überschwang und gleich anschließend diese geradezu überirdische Dankbarkeit, noch immer zu atmen, noch immer zu fühlen.
Ja, es kommt noch besser: Der euphorischen Lebensfreude folgte eine schöne, fast bodenlose Zufriedenheit. Denn natürlich hatten wir beim Einbiegen in die Manenberg Avenue einen Augenblick innegehalten und uns gefragt, ob wir uns das antun wollten. Da Rolf und ich schon öfter in Südafrika unterwegs gewesen waren, wussten wir, wie gemeingefährlich eine solche Situation ausarten konnte. Nach kurzer Bedenkzeit gaben wir wieder Gas, auf den Tatort zu, die Lage schien uns »berechenbar«. Eine Absage – uns eben der Angst vor der eigenen Feigheit zu fügen – wäre unverzeihlich gewesen. Wir wollten nicht peinlich verstummen, wenn wir eines Tages an die Szene erinnert würden. Wir wollten den fiebrigen Flow spüren, das sagenhafte Afrika an diesem warmen Februartag.
Eine Gebrauchsanweisung, um mit Gefahr, mit Angst und Gewalt umzugehen? Schwierig, denn jede Situation erfordert eine andere Antwort. Einmal hilft ein klares Wort, einmal saftiges Lügen und Lachen, einmal nur frecher Charme, einmal nichts anderes als Preschen und Stieben,
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