Gebrauchsanweisung für die Welt
wissen wir, was geschriebene Sprache soll, eben die heilige Dreifaltigkeit vermitteln, docere : unterrichten, delectare : erfreuen und movere : anrühren. Ins einfache Deutsch übertragen: uns etwas zeigen, uns zum Kichern bringen, unsere Tränen lockermachen.
Ist das nicht ein Wunder menschlicher Erfindungsgabe? Ein paar Seiten Papier voll verschwiegener Buchstaben sind imstande, gleichzeitig stille Einkehr und brausende Stürme hervorzurufen. Kein anderes Medium sieht so unscheinbar aus und birgt gleichzeitig so viele Sprengköpfe. Die hochgehen, sobald man das Ende eines Satzes erreicht hat, ja, einmal als haltloses Gelächter rausplatzen, einmal wie kleine Erleuchtungen blinken, einmal unsere Augen mit Ergriffenheit überschwemmen.
Dritte Regel: Schriftsteller müssen lesen! Angehende Schriftsteller müssen alles lesen! Sprich, nachschauen, wie andere um die Welt reisen. Müssen sich beeindrucken lassen von den Künsten so Verschiedener. Damit sie, die Neulinge, dem Zauberberg Sprache näher rücken. Denn es gibt brillante Beobachter, die wie in einem Bilderbuch über die Ferne berichten – ohne ein einziges Foto herzuzeigen. Der Leser folgt ihnen Zeile für Zeile und hinter seiner Stirn entsteht ein Film. In Breitbildformat. Er liest und geht zeitgleich – wenn er das Buch eines Begabten in Händen hält – ins Kino.
Und natürlich muss er, der Novize, beim Lesen alles Neue abspeichern, es aufschichten in seiner riesigen Registratur. Im Kopf. Muss die neuen Wörter lernen. Und gehörten sie zu seiner eigenen Muttersprache. Ja, muss Deutsch büffeln. Obwohl er Deutscher ist.
Was immer ein »Beginner« von einem Könner liest: Alles soll ihm als Anschauungsmaterial dienen. Damit er seinen Größenwahn mäßigt und sich bezirzen lässt von den Streichen und Metaphern, den Saltos und verspieltesten Schachzügen der Meister. Demut wäre ein gelungenes Wort für einen, der anfängt. Und das zweite gelungene wäre Aufmüpfigkeit . Damit er eines Tages auf alle gelesenen Wörter pfeift und die eigene Stimme findet. Und seine Version von der Welt erzählt. Dann – im Höhenflug – versteht er auch das so anstrengende Wort Demut: Was immer einer kann, verdankt er den vielen anderen vor ihm. Über wild verschlungene Wege.
Der englische Dichter W. H. Auden vergleicht einen angehenden Dichterling, der sich der Poesie verschrieben hat, mit einem Grünschnabel, der sich in eine schier unerreichbare Frau verliebt. Um sie für sich zu gewinnen, so Auden, muss der Jüngling den »galanten Diener« spielen, wochenlang, monatelang, ja Jahre. Muss Päckchen schleppen, immer sofort und widerspruchslos zur Verfügung stehen, Prüfungen und Erniedrigungen ertragen, muss im Regen ihrer harren, muss warten. Aber eines Tages, wenn die Frau, sprich, die Sprache, den Bewerber akzeptiert, weil sie erkannt hat, dass er ihrer würdig ist, dann soll, dann muss er Herr im Haus (der Sprache) sein. Dann endlich gehört er zu jenen, die auf den Zauberberg dürfen. Um nach den eigenen Zaubersprüchen zu suchen.
Fazit: Wer Reisebücher schreiben will, hüte sich vor Journalistenschulen, hüte sich noch energischer, ein Germanistikstudium anzutreten. Denn das hieße gar, einen Literaturfriedhof umzugraben. Die wichtigste Aufgabe all dieser Anstalten scheint, den Hoffnungsvollen den mainstream und die Allerweltsregeln zum Verfassen eines »journalistischen Textes« einzubläuen. Ja, ihnen den Eigensinn auszutreiben, ihre besondere Handschrift, ihren originellen Blick auf die Wirklichkeit. One world, one music, one Blabla .
Noch ein letztes Wort zum Thema. Gerade bei Reisebüchern geht die Mär um, dass die Texte gespickt sein müssen mit schneidig gewagten Abenteuern. Meistens verwechseln sich die Verfasser mit einem Haudegen, der – na, wo sonst? – »durch die Hölle geht«. Ach, wie hurtig ich dann ermüde. Weil ich merke, dass hier einer im Overdrive schreibt, einer, der nur Höchstmarken anschlägt und bei dem keiner seiner Sätze ohne zwei Superlative auskommt. Vor Kurzem las ich bei einem dieser Recken, dass in seinem Hotelzimmer »der Boden voller Sperma« war. So ungenau kann man beobachten, so salopp die Realität retuschieren.
Stiller Zusatz: Soll ein reisender Autor ruhig über Sex und Eros schreiben. Wenn er das Geschick der diskreten Andeutung beherrscht und weiß – wie in den besseren Filmen –, wo er wegblenden muss. Damit der Leser die Szene weiterspinnen kann. Auch »geil, geil!« – Himmel, was muss man
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