Gebrauchsanweisung für die Welt
alles goutieren – soll er nicht schreiben. Unser Recke. Auch nicht mithilfe lautmalerischer Vokabeln stöhnen und keuchen. Dafür gibt es Pornos. Da werden ohne Fisimatenten die harten Tatsachen bloßgelegt und vorgeführt. Gut so. Aber nur dort.
Eine Alternative zum Abenteurer und Frauenhelden wäre vielleicht der Vorschlag eines verehrten Kollegen bei der ZEIT , der einen Essay darüber schrieb, was eine gute Reportage ausmache. (Und Reisebücher sind ja nichts anderes als lange Reportagen.) Ich zitiere Stefan Willeke wörtlich, denn eindeutiger lässt es sich nicht sagen: »Die besten Reporter sind nicht unbedingt die mit den schnellsten Beinen (…), sondern jene, die aus einer präzisen Beobachtung einen weiterführenden Gedanken formen. Es gibt eine Schönheit, die ohne den heißen Atem des gehetzten Berichterstatters auskommt, eine überraschende Schönheit, die in der Sprache ihren Ausdruck findet und ihren Ursprung in der Abweichung vom Trampelpfad.«
Wie fesselnd: Ein Reporter, ein Reiseschriftsteller, schenkt dem Leser einen Gedanken, der ihn zu anderen Gedanken (ver)führt. Er benimmt sich wie ein gewiefter Fremdenführer, der einem Fremden die Fremde erklärt und ihn dabei immer tiefer in die Wunderlichkeiten und Verblüffungen der Welt blicken lässt. Schafft er das nicht nur kraft seines Wissens, sondern auch dank seiner verführerischen Sprache, dann will man ihn, sprich, sein Buch, nicht mehr loslassen.
Schöne Aussichten. Um jedoch zu den Verführern zu gehören, sollte man noch rasch den einfachen Satz eines Weltmeisters einpacken, einen von Hemingway. Auf die Frage, wie lange es dauert, bis man das kann, das Schreiben, meinte er trocken und virtuos dramatisch: »Ein Leben lang.«
Gefahr, Angst und Gewalt
Die schönsten Gefahren sind jene, die man überstanden hat. (Pfiffiger Churchill: »Es gibt nichts Schöneres, als beschossen und nicht getroffen zu werden.«) Weil sie einen daran erinnern, wie verletzbar man ist und wie leicht unser kostbarster Besitz abhandenkommen kann: die Freiheit, der Körper, das ganze Leben. Mit einem Schlag erinnern wir uns hinterher daran, wie einmalig schön es ist, am Leben zu sein, heil, vollständig, frei.
Da wir das zuweilen vergessen, steckt in Gefahren ein ziemlicher Nutzwert. Sie wecken uns wieder auf. Damit wir nicht wie so viele werden, die kein Zwischenruf mehr erreicht: die Zombies, denen man täglich begegnet, stündlich. Mitmenschen, die von Amts wegen als unverstorben gelten, aber in der Wirklichkeit nur noch als scheinlebendig anwesend sind. Lauter Zeitgenossen, die vor der Angst vor dem Tod die Angst vor dem Leben erschreckt. Ich habe mich immer gefragt, wie jemand so werden kann. Werden will : tot sein, wenn man doch leben könnte. Unergründliches Menschenherz.
Natürlich schnürt man den Rucksack, weil man den thrill erfahren will, weil Reisen ganz nebenbei auch Intensität verspricht, ein bisschen Haare-zu-Berge-Stehen, ein paar Schweißausbrüche, ein Paar feuchte Hände. Gut, einige reisen ausschließlich, um sich zu erholen. Oder zu bilden. Oder saubere oder linke Geschäfte zu machen. Aber die brauchen keine Gebrauchsanweisung, die brauchen einschlägiges Material, das sich mit ihrem Thema beschäftigt. Das vorliegende Buch soll eher jenen zugeeignet sein, die den Kitzel verlangen.
Warum strömen jedes Jahr über eine Million Neugierige nach Pamplona, zur Fiesta San Fermín? Um den »Heiligen« anzubeten? Sicher nicht. Um die schöne Altstadt zu besichtigen? Ja, vielleicht. Aber vor allem wollen sie die Stierhatz erleben, wollen hinschauen, ja mitmachen, wenn ein halbes Dutzend Bullen durch die Straßen Richtung Arena getrieben wird. Tausende Besucher rennen vorneweg und riskieren ihre Haut, genießen die Angst, niedergetrampelt und/oder aufgespießt zu werden. Einen Amerikaner hörte ich einmal sagen, dass er den rush erleben wollte. Das kann man mit »Anschwellen«, mit »Ansturm« oder »Hochbetrieb« übersetzen, aber gemeint ist hier nur eins: der wilde Herzschlag, eben die Gefahr zu suchen und das Glück – das unversehrte Davonkommen – zu finden.
Verschafft das Abstottern eines Ford Fiesta einen Adrenalinstoß? Oder bei Aldi zwei Kilo Tomaten zu kaufen? Oder Politikern beim Diskutieren über das Haushaltsbudget zuzuschauen? Oder den Herrn Papst über christlichen Geschlechtsverkehr sülzen zu hören? Oder einen Antrag für Hartz IV auszufüllen? Oder nach Heidi Klums gesammeltem Stuss zu googeln? Nein, nie.
Wie viel
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