Gebrauchsanweisung für die Welt
müssen. Als er das sagte, mussten wir beide grinsen. Mit dem erhebenden Gefühl, der Gier anderer entronnen zu sein, erreichte ich mein Hotel. Herzlicher Abschied. Soll keiner sagen, ich wäre nicht doof gewesen und hätte kein Glück gehabt. Aber Adrenalin floss und ich war dankbar.
Natürlich habe ich die Konsequenzen gezogen und ein paar neue Punkte aus der Gebrauchsanweisung fürs Reisen auswendig gelernt. Und sie umgesetzt: mehr Misstrauen, ja doch. Und heller sein. Ich will eben kein Hans im Glück aus Grimms Märchen werden, der froh ist, als ihm der letzte Besitz abhandenkommt. So viel Glück ist zu viel des Guten. Ein bisschen Last, Geldscheine zum Beispiel, trage ich gern. Konkret: Ich habe lange nachgedacht, wie man ein so wertvolles Gut in der Kleidung verbergen kann. Selbst vor den habsüchtigsten Händen. Und ließ mit Unterstützung eines begabten Schneiders Schlupflöcher in meine Hosen einnähen, die bis heute von niemandem entdeckt wurden. Und ich bin, die Götter sind Zeuge, schon reichlich oft befingert worden.
Nächster Punkt, Rubrik B: Darunter fallen die Minuten, die mich schwer amüsieren. Weil sie einen Touch Irrsinn enthalten. Auch daran erinnern, wie verrückt die Realität bisweilen spielt, wie schnell sich die Regeln der Logik auflösen und eine Gefahr als herzhaftes Gelächter verpuffen kann. Wie im hintersten Louisiana, als mir – ich war als Reporter unterwegs, spielte aber den tumben Bewunderer – ein Mitglied des Ku-Klux-Klans sein Haifischmesser an die rechte Pulsader hielt und mit lauter Prolostimme fragte: »Do you believe in Adolf Hitler?« Und ich, wunderbar erleichtert, ebenfalls lautstark antwortete: »Yes, I do believe in Adolf Hitler!« Und wir anschließend Tränen lachten. Wobei ich noch heute nicht recht verstanden habe, warum Brandon so begeistert reagierte. Aus Freude darüber, einen solchen Fang, einen echten deutschen Nazi – blond und voller Rassenhass – gemacht zu haben? Oder weil er seine Überlegenheit genoss? Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, ob er hineingeschnitten hätte, wenn ich ihm zugerufen hätte, dass er ein hirnkranker Bimbo ist, a stinky piece of white trash , aber ich wollte auf Nummer sicher gehen. Denn ich diskutiere nie mit Bewaffneten, ich mache immer das, was sie erwarten. Aber immerhin begriff ich, warum ich Tränen der schieren Lebenslust vergoss: Weil wieder einmal klar wurde, wie flugs man unauslotbare Geistesschwäche aushebeln kann. Deshalb mein Eingeständnis, ein Hitlerfan zu sein. Weil ich dann gewiss sein konnte, dass er mich nicht zerstückeln würde. Ja, mich der Mordskerl umgehend zu »his best German friend« erklärte. Nun, auch diese trübe Ehre nahm ich in Kauf. Einfach, weil Brandon mir jetzt vertraute und ich seine verstecktesten (braunen) Träume erfuhr. Und noch etwas habe ich bei ihm gelernt: Fleischgewordene Dummheit kann auch zu Veitstänzen der Seligkeit führen. Das klingt beruhigend, da ihr das nicht oft gelingt. Denn meist will ich mich in ihrer Gegenwart entleiben.
Die Regel fürs Reisen durch die Welt? Schlagfertigkeit üben! Nicht den Edlen aufführen, sondern den Gegner aufs Glatteis führen! Etwa – im übertragenen Sinne – wie es Aikido vorschlägt, die japanische Kampfkunst: defensiv, dem potenziellen Schläger ausweichen, ihn austricksen und ins Leere laufen lassen. Mit der eigenen Intelligenz die Brutalität des anderen kaltstellen. Geist gegen Dunkelheit, Hirn gegen Bizeps, ein Ausfallschritt gegen den Vorschlaghammer.
In die dritte Gattung fallen die Um-ein-Haar-Fälle: Bei Punkt C geht es um kalten Schweiß, um nackte Ängste, um Intensitäten, die einen noch lange verfolgen, noch lange in einem nachzittern. Hier Fall eins: Fotograf Rolf Nobel und ich recherchierten über »Gewalt in den Cape Flats«, einem Stadtteil von Kapstadt, der zu den Problemzonen Südafrikas gehörte. Wir erfuhren von unserem Informanten, dass in Manenberg – laut Statistik die gefährlichste Township – ein Polizeieinsatz stattfand. Wir brausten los. Aldino – Ex-Killer (»Ich schwöre, es war Notwehr!«), Ex-Juwelenschmuggler, Ex-Zuchthäusler – hatten wir als Fahrer, facilitator (Erleichterer) und Alleswisser angeheuert. Seit einer Woche arbeiteten wir mit ihm. Der zehnfache Vater hatte eine Gangsterehre im Leib, auf die er nachdrücklich Wert legte. Einen Zuverlässigeren als ihn hätten wir nicht finden können.
Ein riesiges Wandgemälde von Tupac Shakur, dem »King of Rap«, gab hier den Ton an.
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