Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder
Neptun hieß jede dritte hafennahe Kneipe, aber von einem Gott, der angeblich zwei Menschen mit Namen Adam und Eva erschuf, hörte ich erst sehr viel später. So wie mir geht es vielen. Die meisten Meck-Pommer sind konfessionslos. Der Missionar Jakob Walter nahm sich vor, das zu ändern. Er ließ sich bei seiner Mission, zwischen den Meck-Pommern und Gott zu vermitteln, von einer Kamera begleiten. Der große Navigator heißt dieser Dokumentarfilm, in dem eine Horde mecklenburgischer Punks lautstark verkündet: Unser Gott heißt Bier ! So zog der Missionar einige Zeit später wenig erfolgreich wieder von dannen. Er kann nur darauf hoffen, dass Leute meiner Generation irgendwann nicht mehr in Situationen wie meine Omen-Situation geraten wollen und sich früher oder später eine Kinderbibel zur Hand nehmen. Das schafft uns Meck-Pommern dann auch die Grundlagen, um unter anderem Brecht-Gedichte oder religiöse Konflikte zu verstehen.
Der Künstler im Rapsfeld
Ich lernte Doris auf dem Fischland in Ahrenshoop kennen, einem der edelsten, vielleicht elitärsten Seebäder entlang der meck-pommerschen Ostseeküste, das bereits zu
DDR
-Zeiten seinen Millionenhügel erhielt. Auf einer Anhöhe vor der Düne am Hohen Ufer durfte sich die
DDR
-Schickeria ihre reetgedeckten Villen errichten, die inzwischen von dicken Sanddornhecken eingewachsen sind. Ahrenshoop, das Kaff der Kulturschaffenden .
Alles an Doris wehte im Spätsommerwind – ihr silbergraues Haar, ihr blutroter Seidenschal und selbst ihre Stimme. Vor dem Kunstkaten ( eine der ältesten Galerien Norddeutschlands) sprach sie ins Telefon, als sie an mir vorüberwehte. Kunstkaten , hörte ich sie hinter mir noch mal deutlich wiederholen.
Zwei Stunden später traf ich Doris zum zweiten Mal. Ich erkannte sie an ihrer Lederjacke mit einem großen gelben Punkt vorne auf der Brust. Sie betrat das Café Buhne 12 , in dem ich bereits einen Pflaumenkuchen vor mir stehen hatte, der so groß war wie ein kleiner Geschenkkarton. Platzknappheit zwang Doris an meinen Tisch. Sie erzählte, dass sie aus Dortmund stamme und einmal im Jahr mit ihrer Freundin Ute nach Ahrenshoop käme, wegen der Inspiration. Und ich sagte: Oh . Doris erzählte weiter, dass Ute mehr so Landschaftsmalerin sei und sie mehr so fürs Porträt und dass man hier in Ahrenshoop die Möchtegernkünstler ja an ihren Schals erkenne. Ich gehe davon aus, Doris verbuchte das blutrote Ding über ihrer Schulter unter Tuch. Sie wollte von mir hören, ob ich es auch so fürchterlich fände, dass man aus der Rostocker Kunsthalle ein Autohaus machen wolle.
Davon habe ich bisher nichts mitbekommen.
Ich denke, du bist von hier ! ?
Ja, aber über die Kunstszene, weißt du Doris, in der Zeitung steht eher, wo ein Auto beim Einparken ein anderes beschädigt hat. Kunst, das wird hier ein bisschen stiefmütterlich behandelt. Obwohl es ja ziemlich viele
…
Plötzlich hob Doris ihre grobe große Hand. Ihre Freundin, die Landschaftsmalerin, gesellte sich zu uns. Ute – Ute, ebenfalls aus Dortmund, kam ohne Tuch, ohne Schal und ohne Punkt, dafür in den Landesfarben Ultramarineblau (Poloshirt), Weiß (Hose), Gelb (das Haar blond) und Zinnoberrot (Sandalen). Ute bestellte einen Kakao mit sehr viel Sahne und öffnete mir die Augen für die Farben meines Bundeslandes (danke, Ute!). Sie schwärmte von den leuchtend gelben Rapsfeldern, den roten Mohntupfern und blauen Kornblumen darin, den dunkelgrünen Baumtunneln der Alleen, den silbernen Blättern, sie schwärmte vom Himmelblau, von dem himmlischen Blau, den schneeweißen Wolken, den schiefergrauen Steinen, von der lilafarbenen Heide, von dem dunkelroten Abendhimmel, dem Orangerot der Hagebutten, dem Nebelgrauweiß des Morgens, den schmutzig weißen Schaumkronen und dem Türkis des Meeres, dem Tiefblau des Meeres, dem Schwarz des Meeres, dem Grün des Meeres, dem Kobaltblau des Meeres, dem Braun des Meeres, dem Braun des Schwemmholzes, das sich in dem tiefgrünlichbräunlichen Seetang verfangen hat, im dunkelazurblauen Wasser. Als Doris etwas gelangweilt schnaufte, behauptete ihre Freundin: Weißt du, Doris, in Dortmund gibt es nicht eine einzige dieser Farben, nicht eine einzige, und du kannst das überhaupt nicht beurteilen, denn von Farben verstehst du nichts.
Ab ungefähr 1880 zog eine neue Generation von Malern in die Natur. In Ahrenshoop entstand die erste Künstlerkolonie. Seither lebt der Ort von seinem Künstlerruf und man muss sich vor den wehenden Schals der Maler,
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