Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder
Information kann bares Geld wert sein, denn hätte sich der Wer-wird-Millionär-Kandidat bei Günther Jauch statt für Weizensorten für Hansestädte entschieden, wäre er jetzt um mindestens 15 500 Euro reicher.
Arm, aber sexy
Don’t tell me something , sagte ich zu dem amerikanischen Austauschschüler, der Mitte der Neunziger erzählte, er habe gehört, da, wo er jetzt hinginge (Mecklenburg-Vorpommern), gebe es kein elektrisches Licht . Als dein gesamter Kontinent entdeckt wurde , erklärte ich, war diese Stadt schon fast dreihundert Jahre alt, aber von Geschichte, da versteht ihr ja nichts. Also don’t tell me something about electric lights ! (Und: NO, dear Americans, Warnemuende is NOT the harbor of Berlin ! )
Wäre Mecklenburg-Vorpommern wenigstens sexy , stöhnt der Einwohner, dessen Region mangels Industrie traditionell zu den Ärmeren der Republik zählt. Wird wie beispielsweise 2008 im Spiegel eine farbliche Statistik der Topverdiener erstellt, erscheint die Deutschlandkarte schön bunt, leuchtet hier gelb, dort lila, mittendrin orange und oben rechts in der Ecke, da bleibt alles blütenweiß.
Der Meck-Pommer sieht den Wald jedoch vor lauter Bäumen nicht, denn Mecklenburg-Vorpommern besitzt nicht nur eine funktionierende Elektrik, sondern ist auch durchaus sexy. Inmitten der hügeligen Landschaft hat offenbar noch ein alter verfallender mecklenburgischer Kuhstall Ausstrahlung und Anziehungskraft genug, um ein Brüderpaar zu bezirzen. In dem Fall die Hamburger Laufschuh-Experten-Brüder Lunge. Flirten auch alle anderen mit Asien, die Lunges zieht es in den Düssiner Kuhstall of Mecklenburg-Western Pomerania, um qualitativ hochwertige Laufschuhe herzustellen. Kaum eine Schuhfabrik produziert noch in Deutschland, aber die Lunges entschieden sich für den Standort Mecklenburg-Vorpommern. Gleiches taten in der Vergangenheit zunehmend Telefonfirmen und Callcenter, weil in kaum einem anderen Teil Deutschlands so sexy hochdeutsch sprechende Stimmen durch die weltweit modernste Telekommunikationsinfrastruktur geschickt werden können.
Neben Stimme und Ausstrahlung gehören zum festen Fundament des Sexappeals bekanntlich noch Erfolg und Köpfchen. Beides ist selbstverständlich hier vorhanden. In Mecklenburg-Vorpommern formiert sich derzeit eines der größten Netzwerke der Biomedizin und Biotechnologie: das BioCon Valley . Über siebzig Unternehmen dieser Branche haben sich inzwischen in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt. Was sie dort tun, wird die Welt voraussichtlich in wenigen Jahren erfahren. Ein anderes Netzwerk, bestehend aus Wissenschaftlern, Pflanzenzüchtern, Medizinern, Bauern, Lebensmittelherstellern und Verfahrenstechnikern, braucht nur eine einzige Pflanze zum Erfolg: die blaue Lupine. Bislang nur als Tierfutter genutzt, soll sie schon bald weltweit von sich reden machen . Zum Soja des Nordens soll sich die attraktive blaue Dame mausern und die Wurst knackig machen .
Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass hier trotz zum Teil einer absurd hohen Arbeitslosenquote (27 Prozent) erfolgreich und mit Köpfchen gearbeitet wird. Der Ruf der Hochschulen ist ausgezeichnet. So wurde unter anderem an der Stralsunder Fachhochschule, als seinerzeit (
WS
2000/2001) einzigartig, der duale Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen erfolgreich eingeführt und mit dem Bildungspreis in der Kategorie Hochschule prämiert. Im Winter wird an der Hochschule studiert, im Sommer werden gewonnene Kenntnisse in den Unternehmen praktisch umgesetzt. Das führt unweigerlich zu einer ungeheueren Attraktivität für erfolgsorientierte
BWL
-Studenten. Und wie sie dann mit ihren gelben Helmen und der dunkelblauen Arbeitskleidung im Sommer das Areal der Stralsunder Volkswerft durchstreifen – sexy!
Dabei will Mecklenburg-Vorpommern gar nicht sexy sein, sondern, laut Aussage der damaligen Finanzministerin in der Financial Times , einfach nur stinknormal .
Der Nazi überall
Also ich habe in Mecklenburg-Vorpommern noch keinen Nazi gesehen , habe ich früher steif und fest behauptet, wenn man mich mit dem Ruf der Fremdenfeindlichkeit meines Bundeslandes konfrontierte, was besonders oft 1992 nach den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen passierte. Ehrlich, schwor ich, ich kenne bei uns nur Zecken. Und Gothic-Typen. Und Rocker. Aber keine Nazis. Die sind doch alle in Sachsen-Anhalt.
Ich erkannte die Nazis nicht, weil nicht alle Nazis Glatzen haben und eine grobe Gestalt. Und weil sie sich nicht alle auf meinem Stralsunder
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