Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder

Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder

Titel: Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ariane Grundies
Vom Netzwerk:
wir uns wie Hunde, weil die FKK-Abschnitte immer neben den Hundestränden zu finden sind. Und Ostsee, da ist mir persönlich viel zu viel Textil.
    Ansichtssache! Unter viel zu viel Textil verstehe ich bestenfalls die Bademode im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, die das Baden nur in geschlossenen, aus undurchsichtigem Stoff hergestellten Badeanzügen gestattete, die vom Hals bis zum Knie reichen (Warnemünde 1904) . Auch wenn wir Norddeutschen gerne so tun – wir sind keine urzeitlichen Wasserratten und Nackedeis. Meer galt noch bis etwa 1800 als zum Baden völlig ungeeignet. Und auch danach gingen die Einheimischen selbst kaum ins Wasser. Meine Großeltern habe ich nie am Strand erlebt, schon gar nicht jauchzend zwischen den Wellen, die schlenderten höchstens in reichlich Textil die Promenade auf und ab und aßen Eis. Schuhe ausziehen und rein mit den nackten Füßen in den Sand? No way !
    In den Zwanzigerjahren sprangen die ersten Herren nackt vom Steg, und Damen lagen frivol unbekleidet mir nichts dir nichts im Ostseesand. Ein unglaubliches Verhalten in Anbetracht dessen, dass sich gerade mal vom Badekarren emanzipiert worden war. Der Badekarren fuhr die ersten im Meer badenden Gäste in die See. Dort ließ der Kutscher die Markisen herunter, hinter denen sich die Herrschaften ins kühle Nass begeben konnten. Später schützten vor fremden Blicken hufeisenförmige Bauten, die auf Pfählen ins Meer hineinragten – Badeanstalten, die im Zweiten Weltkrieg dem Brennstoffmangel zum Opfer fielen. Das alles hat, hundert Jahre zurück, also mit
FKK
noch nicht viel zu tun. Auch die Zeit der nackten wilden Zwanziger war kurz. Denn bald wurde es den Nationalsozialisten zu nackt und zu bunt. So erließen sie 1932 den Zwickelerlass, der genau vorschrieb, wie man sich zu kleiden hatte. Öffentliches Nacktbaden war verboten. Erst die
DDR
-Bürger machten sich entlang der Ostseeküste wieder frei.
    Die heutige Existenz der Nackten kann nicht geleugnet werden. Sie fühlen sich an der Ostsee pudelwohl, und am liebsten spielen sie Volleyball. Das sollte niemanden davon abhalten, seinen Urlaub hier zu verbringen. Haben Sie keine Angst, die Nackten halten sich nur in bestimmten Abschnitten auf. Und wenn Sie mit ihrem kleinen Jack Russell, mit dem sie am nebenan gelegenen Hundestrand herumtollen, doch etwas näher heran müssen, dann erfasst Sie vielleicht die Joplin’sche Philosophie: Freedom ist just another word for nothing left to loose , und Sie legen die Kleider ab und stürzen sich glücklich wie nie zuvor in die Fluten. Das ist zumindest das, was sich Mecklenburg-Vorpommern im Grunde seines Herzens von Ihnen wünscht. Erwartet jedoch wird hier gar nüscht.
    Ohne das
FKK
-Baden wäre nichts, was es ist: Der Osten wäre nicht der Osten, die Nacktbadenden wären nicht nackt, und Gerhard Hauptmanns Bestseller wären keine Bestseller gewesen. Auf seiner Lieblingsinsel Hiddensee notierte der Schriftsteller

… nicht geschrieben, hätte ich nicht jahrelang auf Hiddensee die vielen schönen, oft ganz nackten Frauenkörper gesehen und das Treiben dort beobachtet.
     
    Vorschlag : Ein beliebter
FKK
-Abschnitt an der Ostsee ist zum Beispiel die kilometerlange Strecke zwischen Glowe und Juliusruh auf Rügen.
Das gottlose Volk
    Ich wünschte, ich hätte damals den Horrorklassiker Das Omen ganz alleine geschaut. Ich wäre nicht in die Verlegenheit geraten in größerer Runde zu fragen: Hä ? ? Das Blut Christi ? Wo soll er das denn herbekommen ? Ratlos sah man mich an, bevor ein schallendes Gelächter über mich hereinbrach. Meiner Herkunft war geschuldet, dass ich zuvor noch nie etwas vom Blut Christi gehört hatte, und dass Rotwein für mich nie eine andere Bedeutung hatte, als die eines alkoholischen Getränkes. In der Kirche war ich als Kind nur, um oben vom Turm hinunterzuspucken. Für Beerdigungen stieg ich in ein Boot, von dem aus mit dem Schlag der Seeglocke und einem letzten seemännischen Gruß Asche ins Wasser gelassen wurde. Religionsunterricht hatte ich nicht, und die Mitschüler, die konfirmiert wurden, waren Freaks. Der ostdeutsche Atheismus sorgte dafür, dass in meinen Weihnachtsliedern nur in spärlichen Ausnahmen das Wort Christkind auftauchte und ich lange Zeit dachte, der Tannenbaum wird im Winter mir zu Ehren geschmückt. Gott hieß in meiner Welt bestenfalls Neptun oder Svantevit. Der vierköpfige Svantevit war die oberste Gottheit der slawisch-stämmigen Ranen auf Rügen. Von ihm hatte ich gelesen, und

Weitere Kostenlose Bücher