Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder
totgefüttert). In Mecklenburg-Vorpommern wird Flachatmung praktiziert. Wat mutt, dat mutt, aber wenn dat nix warrt, warrt dat eben nix, so weise sprach schon die Rossmann -Verkäuferin, als ich sagte: Ich müsste die Fotos aber bis morgen haben.
Soll ich aber ehrlich sein, so hat Bismarck natürlich recht. Dat duurt aal’n büschen länger. So wird dem Hitler in Bad Doberan eben erst 2007 das Ehrenbürgertum endgültig aberkannt, und Rügentouristen haben jahrzehntelang vor der Klappbrücke im Stau zu stehen, bevor das Problem mal jemand in Angriff nimmt. Oewer dann mit’m Ruok . Deshalb weihte Angela Merkel mit der neuen Rügenbrücke auch gleich ein Jahrhundertbauwerk ein. Und obendrauf, weil die Touristen bei Schietwetter nun nicht mehr im Stau stehen, entstand gleichzeitig ein ziemlich ambitioniertes Update des Stralsunder Meereskundemuseums (Ozeaneum), in dem die gewonnene Zeit gnadenlos vertrödelt werden kann.
Zeit ist in Mecklenburg-Vorpommern ein hohes Gut, an das allerorts beharrlich erinnert wird.Widerwillig erinnere ich mich in diesem Zusammenhang an eine Eiscafé-in-Binz-Begebenheit:
Immer mit der Ruh, sagte die Bedienung, als neben meinem Tisch eine Mutter mit ihrem weinenden Kind drängelte: Wo sind denn bitte die Toiletten ?
Ich konnte diesem Kind, das schon rötlich-grün im Gesicht war, leider nicht helfen. Und als die Bedienung endlich meine Bestellung zu Ende notiert hatte, brauchte vorerst niemand mehr eine Toilette.
Das riecht, ob Sie das wohl mal aufwischen könnten , fragte mein Tischnachbar, nachdem sich Mutter und Tochter beschämt davongemacht hatten.
Immer mit der Ruh , mahnte die Bedienung auch ihn und schenkte dem Malheur mindestens zehn Minuten Zeit, seinen Geruch zu entfalten. Mich erinnerte das damals an eine Szene aus einer meiner Lieblings-Sitcoms, in der die Cafébetreiberin mit ihrem Café auf die Liste der hippsten Cafés in
L
.
A
. kommen möchte. Zu diesem Zweck verordnet sie ihrer Angestellten, auf Bestellung eines Kaffees mit einem rotzigen Zuerst trinke ich meinen aus zu reagieren.
Wie ein Fels in der Brandung stehen die hanseatischen Stadtmauern und gewähren hochschlagenden und überschäumenden Trendwellen zuverlässig Einhalt. Man muss in Mecklenburg-Vorpommern nicht mit einem Roller ins Büro rollern oder sich dem Stress ergeben, für seinen Mops ein modisches Regenmäntelchen zu finden. Dat is doch all schiet, weiß der konservative Meck-Pommer. Er glaubt ganz fest daran, dass sich Altbewährtes immer wieder neu bewährt. Was soll ich bei einer Fideliovorstellung, wenn die da in Jeans und mit Kalaschnikows herumstehen (Reaktion nach einer Stralsunder Theaterpremiere)? Das erklärt auch, warum ich in einer Apotheke statt des georderten Aspirin Complex zu hören bekam: Nee, das ist doch blöd. Warmes Bier und ab ins Bett. Aber weil sich die Apothekerin schließlich doch noch an das neuerliche marktwirtschaftliche System zu erinnern schien, überzeugte sie mich vom Kauf einer Salmiaktüte.
So finden Veränderungen in Mecklenburg-Vorpommern nur in gefühlten Dezisekunden statt, und dennoch weht immer ein frischer Wind! Das Land, auch wenn für das menschliche Auge nicht ad hoc wahrzunehmen, befindet sich in steter Veränderung. Das Meer trägt Land ab, um es woanders wieder anzuspülen. Es ist eine natürliche Veränderung, keine künstlich überstürzte. Gut Ding will eben Weile haben.
Fritz Reuters Landesverfassung:
Paragraf 1: Allens bliwwt bi’n ollen. Alles bleibt beim Alten.
Paragraf 2: Nix ward sick ännern. Nichts wird sich ändern.
Nix los
»Jährlich 2000 Veranstaltungen der Extraklasse« . Wollen die mich verarschen ? , hätte ich mich beim Blick auf die Tourismusbroschüre noch vor einigen Jahren gefragt. Von diesen zweitausend Veranstaltungen hatte ich während meiner Adoleszenz gefühlte minus fünf erlebt und das, obwohl ich in der drittgrößten Stadt des Landes wohnte und mich durchaus eifrig auf die Suche begab. Wald-Meer, Sand-Meer, garnüscht-Meer, gelesen in einem Mecklenburg-Vorpommern-Internetforum, bringt ziemlich auf den Punkt, was ich damals über mein Bundesland zu sagen gehabt hätte. Inzwischen würde ich großspurig behaupten: Zweitausend? Erscheint mir reichlich untertrieben!
Eines Tages fiel mir wie Schuppen von den Augen, dass das Unterhaltungsprogramm in Mecklenburg-Vorpommern eine Frage der Wahrnehmung, der Interpretation und der Kunst, Freizeitangebote überhaupt als solche zu erkennen, ist. In diesem
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