Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder
Jugendstil, aus Erkern, Holzveranden, Simsen, Balustraden, Säulen
…
Tipp : Wer sich einmal fühlen will wie ein illustrer Badegast aus dem letzten Jahrhundert, kann sich auf Mollis rote Samtpolster oder an Rolands Öfchen setzen. Die beiden uralten Schmalspurbahnen (Spurweite Roland: 750 und Molli: 900 Millimeter) schnaufen und bimmeln (Molli) oder pfeifen (Rasender Roland) sich mit viel Dampf durch die Landschaft. Molli von Bad Doberan (hier bitte zuvor das Doberaner Münster besichtigen) über Heiligendamm nach Kühlungsborn, entlang einer traumhaft schönen Lindenallee, vorbei an Europas ältester Galopprennbahn, und Roland auf Rügen von Putbus über Binz, Sellin, Baabe nach Göhren.
Vineta
Sonntagskinder, die ein Osterwochenende auf Usedom verbringen, sollten sich die größte, schönste und reichste Stadt Europas anschauen. Größer als Konstantinopel und schöner als Rom ist diese Stadt, bewohnt von allerlei Völkern, die gastfreundlicher und höflicher gegenüber Fremden kaum sein könnten. (Nur Christen sollten ihre Religion inmitten der vielen Heiden nicht zu öffentlich machen.) In den Geschäften der Einwohner dieser Stadt findet man die wertvollsten und seltensten und selbstverständlich kostbarsten Waren. Ständig legen Schiffe aus aller Welt an. Das Leben hier ist bunt und lustig. Die Bewohner sind so reich, dass ihre Kinder mit Geld auf der Straße spielen und ihnen der Hintern mit Semmeln abgewischt wird . Allerdings sollten Sie diese Stadt nicht in der Nacht oder bei stürmischem Wetter besuchen, denn dann werden Sie in den Ostseewellen rettungslos ertrinken.
An der nördlichen Küste der Insel Usedom befindet sich diese unglaubliche Stadt, ungefähr auf Höhe des Dorfes Damerow, etwa sechs Kilometer von Zinnowitz entfernt. Dort hat an einem Ostermorgen ein Schäferjunge diese Stadt betreten. Plötzlich sah er sie aus dem Wasser emporsteigen, das goldbeschlagene Stadttor geradewegs vor ihm. Später wusste er zu berichten, dass die Männer lange pelzbesetzte Mäntel und federgeschmückte Barette trugen. Die Frauen wären kostbar in Samt und Seide gekleidet gewesen. Aber alles geschah ohne den geringsten Laut. Stumm breiteten die Kaufleute ihre Waren aus. Einer winkte den Jungen heran. Er zeigte auf ein kleines Geldstück und wies auf den Tisch voll Ware. Aber weil der Junge kein Geld bei sich hatte und ihn alle so traurig und enttäuscht ansahen, lief er schnell durch das Tor zurück an den Strand.
Außerhalb der Osterfeiertage haben Sie bei stiller See die Chance Vineta , so ihr Name, zu sehen, indem Sie mit dem Boot hinausfahren. Wenn Sie die richtige Stelle erwischen, können Sie bis 400 Meter tief ins Meer hinabschauen.
Dort werden Sie eine Vielzahl großer Steine sehen, marmorne Säulen und Fundamente – die Trümmer Vinetas. Noch immer herrscht dort ein wundersames Leben. In langen Kleidern wandeln Gestalten durch die Straßen oder sitzen in goldenen Wagen oder auf großen schwarzen Pferden.
Natürlich konnte ein solcher Reichtum, und erst recht nicht von Heiden, ewig fortbestehen. Die Einwohner Vinetas verfielen den Lastern der Wollust und Üppigkeit, und dafür traf sie die Strafe Gottes. Die Stadt wurde zwischen Karfreitag und Ostermontag von riesigen Wellen ins Meer gerissen. Angeblich kamen dann die Schweden und fischten all die Reichtümer der Stadt aus dem Wasser.
Warum nur konnten die Einwohner Vinetas nicht bescheiden und bodenständig wie alle Meck-Pommer sein? Was hätte aus Mecklenburg-Vorpommern mithilfe dieser Metropole werden können? Was hätten wir für marmorne Ozeaneums und goldene Rügenbrücken bauen können, hätten die Schweden nicht alles geklaut!? Jetzt müssen wir uns mit Vineta-Festspielen über Wasser halten, und die Bürger Mecklenburg-Vorpommerns beginnen sich gegenseitig auszuspielen. Unterstützt werden die einen dabei von der Zeitschrift Geo . 1998 behaupteten darin zwei Wissenschaftler, dass Vineta gar nicht vor der Küste Usedoms, sondern vor Barth (Stadt auf dem Darß) versunken sei. Seither liefern sich beide Regionen einen Machtkampf, der unter anderem dazu führte, dass Vineta mittlerweile ein geschütztes Markenzeichen ist.
Die silbernen Glocken der Stadt kann man noch jeden Abend, wenn kein Sturm auf der See ist, hören, wie sie tief unter den Wellen die Vesper läuten, erzählt die Sage .
Wer die Glocken läuten hört, wo auch immer, wird gebeten, sich bei der örtlichen Behörde zu melden, damit sich die Frage nach Vinetas
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