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Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder

Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder

Titel: Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ariane Grundies
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Tagesthemen der Angelei Trendcharakter: Inzwischen gibt es mehr Angel- als Golfzeitschriften. Vier Millionen Deutsche über vierzehn Jahren, vom Hartz-IV-Empfänger bis zum Topmanager angeln. Ein Viertel der Engländer wirft lieber die Rute aus, als Sex zu haben.
    Seit jeher dem Trendcharakter verfallen, vor allem aber auch der Notwendigkeit des Fischens, lebt Mecklenburg-Vorpommern von der Küsten-, Kutter- und Hochseefischerei. Prallvolle Netze sind jedoch selten geworden. Die Fischerei eine mühsame Arbeit, der weitaus weniger Menschen nachgehen als noch zu
DDR
-Zeiten. Der überfischte Fischbestand hat enorm an Wert verloren. Der Unglücksvogel Kormoran fischt ordentlich mit in Mecklenburg-Vorpommern.
    Es gibt zwei
TV
-Ereignisse, die mir regelmäßig Tränen der Rührung in die Augen treiben. Erstens die Maueröffnung, wie die da alle jubeln und klettern und laufen. Zweitens Mecklenburg-Vorpommerns Fischer, die immer mit leicht gekrümmten Schultern dastehen, als würden sie von einem Steg in ein Boot schauen, und immer müssen sie Dinge sagen wie: Ich kenn so viele Ecken auf der Welt, aber hier würd’ ich nicht wegziehen wollen. Oder: Wenn ick dann een Tied ünnerwegens bün, ward ock wedder Tied, dat ick aufs Land kümm. Oder: Eigentlich ist es hier ja immer so, bis auf ein paar Tage, wo es nicht so ist. Und das is schön so.
    Fischerei und Fischwirtschaft sind Teil unserer Identität im Norden , ist auf dem Regierungsportal des Landes zu lesen. Während andere Menschen ihre Identität oder auch den Einfluss ihrer Kindheit per Therapie unter Kontrolle zu bekommen versuchen, beförderte es mich mit Mitte zwanzig in ein Angelseminar, wo ich lernte, dass Angelschnüre ein Gewissen haben und wo beim Barsch der After zu finden ist. Als ich danach das erste Mal wieder eine Angel auswarf, fühlte ich das, was mal jemand in einer Reportage über Reinkarnation zum Ausdruck brachte: Es ist wie nach Hause kommen .
    Fortan fuhr ich wieder angeln, stehe manchmal im frühmorgendlichen Nebel in Barhöft und erfreue mich an dem Anblick, wenn das erste Boot die spiegelglatte See in Wallung bringt. Der aus dem Schilf aufsteigende Nebel, Fischerboote am Strand, trocknende Netze an schwarzen Holzschuppen, windzerfetzte kleine Flaggen an den Markierungsbojen, die See, die Schwäne, kurz: Der natürliche Rundumblick scheint mir beim Angeln der größte Spaß zu sein. Eine zusätzliche Freude bereitete mir einmal ein Polizist. Während man in Berlin mit Polizisten über Parkverbote und Fahrradreflektoren diskutieren muss, kann man mit der meck-pommerschen Polizei viel gehaltvollere Unterhaltungen führen:
    Ich (mit Angel und flüsternd zu meinem Angelnachbarn): Mist, mein Angelschein liegt zu Hause.
    Polizist: Tachchen !
    Ich: Tach ! Sie werden’s nicht glauben, aber ich habe meinen


    Polizist: Und beißt er ? ?
    Ich: Ähm, nö, noch nicht so richtig.
    Polizist: Zeigen Sie mal ihren Wurm.
    Ich hole die Angel ein.
    Polizist: Besorgen Sie sich mal ordentliche Würmer. Die müssen dick sein und sich noch bewegen. Wer soll denn so’n schlaffen Faden da schlucken wollen ?
    Ich: Okay, mach ich.
    Polizist hat seine Schuldigkeit getan und geht.
    Wer seit Brokeback Mountain oder Der alte Mann und das Meer Lust hat zu angeln, wer einmal etwas in Deutschland tun möchte, ohne eine Prüfung abzulegen, darf das in Mecklenburg-Vorpommern tun. Man darf angeln ohne Fischereierlaubnisschein. Dafür benötigt man neben der Gewässererlaubnis nur den Touristenfischereischein, der von den örtlichen Behörden für 20 Euro ausgestellt wird und 28 Tage Gültigkeit besitzt. Viele Touristen machen besonders von März bis Mai von dieser Möglichkeit Gebrauch. Dicht an dicht stehen dann all diese Menschen, diese Fremden, diese Angler, auf dem Rügendamm und werfen die Angel mit fünf Haken aus. Sie werfen die Angel mitten in einen Millionenschwarm Heringe, der im Frühjahr zum Laichen zieht – das Silber der Ostsee . Und wahrscheinlich haben Angelschnüre tatsächlich ein Gewissen, denn es grenzt schon an ein Wunder, dass sich diese tausend Schnüre der mitunter weit angereisten Touristen nicht ständig miteinander verheddern oder beim Auswerfen auf den Windschutzscheiben der vorbeifahrenden Autos landen. Von März bis Mai hat der Meck-Pommer den Teller voller Heringe – ob er will oder nicht. Selbst wer nicht angelt, kommt um Heringe nicht herum. Ebay ? , fragte mich jemand in Mecklenburg-Vorpommern. Nee , hier wird geräuchert !

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