Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder

Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder

Titel: Gebrauchsanweisung für Mecklenburg-Vorpommern und die Ostseebäder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ariane Grundies
Vom Netzwerk:
libanesische Zedern, kalifornische Mammutbäume, asiatische Ginkos und weitere seltene und seltsame Arten.
    Apropos seltsame Arten: Schauspieler und Theaterpublikum. Was mir persönlich in Putbus am besten gefällt, ist sein Theater. Ich verdanke ihm meine ersten Kabaretterfahrungen, und ganz abgesehen davon, ist der klassizistische Bau für mich mit Abstand das schönste Theater Mecklenburg-Vorpommerns. Es gibt nur Gastspiele und kein festes Ensemble und also auch nicht das Klischee vom trostlosen Kleinstadttheater mit seinen desillusionierten Schauspielerinnen und Schauspielern. Das sicherlich interessanteste Theater dagegen ist das Mecklenburgische Staatstheater in Schwerin. Ansonsten habe ich eher die Erfahrung gemacht, dass Theater und Mecklenburg-Vorpommern nicht die beste Mischkultur ist. Möhren und Zwiebeln vertragen sich wohl besser. Dennoch: Der älteste gedruckte Theaterzettel Deutschlands stammt nachweislich aus Rostock (1520).
     
    Zu schulischen Wanderzeitzeiten war das in Lauterbach befindliche Badehaus Goor (etwa zwei Kilometer von Putbus entfernt) noch ein ziemlich verfallener Haufen, das Gruselhaus mit den Marmorsäulen, so dick und groß wie die bösen Lehrerinnen. Heute verbirgt sich hinter den achtzehn weißen Marmorsäulen ein Viersternehotel, das zu seinem Wellnessangebot unter anderem ein Cesarbad und eine Cleopatrapackung zählt. Auch wenn man nicht vorhat, in diesem neuerlich aufgemotzten Ding zu nächtigen, so lohnt sich ein Spaziergang um es herum allemal. Hinter dem Badehaus befindet sich der Goor-Wald ( goor ist das slawische Wort für Berg). Der Pfad der Muße und Erkenntnis führt durch diesen Küstenwald, der in naher Zukunft zum Urwald werden soll. Man lässt ihn gedeihen und vergehen, ganz so, wie es ihm gefällt, und wünscht, dass entwurzelte Städter dort Ruhe finden. Nur selten braust ein Motorboot auf dem nebenliegenden Greifswalder Bodden vorbei. Sonst ist die Natur ganz im Zeichen der Stille. Der Greifswalder Bodden blubbert hier so schön und rauscht nicht so fies (Feststellung meiner Mutter beim Spaziergang durch den Goor-Wald). Und wie kaum ein Waldstück auf Rügen, kommt auch der Goor-Wald nicht ohne etliche Hügelgräber aus. Die uralten Bestattungsplätze zeugen von einer ehemals ungewöhnlich hohen Besiedlung.
     
    Tipp : Nach dem Waldspaziergang im Hafen Lauterbach auf dem Räucherschiff Berta sitzen, ein Fischbrötchen essen, dazu ein Schwarzbier trinken (dort keinen Kaffee!!). Für den größeren Hunger alternativ Neuenkamp in die Navigation tippen und stilecht im Restaurant Nautilus essen. Hier speisen Sie in Kapitän Nemos bis ins kleinste Detail nachempfundenem Unterseeboot aus dem Roman 20

000 Meilen unter dem Meer .
Feuersteinfelder
    Wenn ich zwei Dinge benennen müsste, die für Mecklenburg-Vorpommern charakteristisch sind, würde ich mich für Vögel und Steine entscheiden. Erstens kommen hier sowohl Vögel als auch Steine zahlreich und in vielen Variationen vor. Zweitens ist der Meck-Pommer selbst eine Mischung aus beidem: freiheitsliebend wie ein Vogel und hart wie ein Gesteinsbrocken. Und drittens werden Vögel und Steine unbedingt gebraucht, um ein im Meck-Pommer tief verwurzeltes Bedürfnis zu befriedigen: die Pflege seines Aberglaubens. Der Aberglaube ist in Mecklenburg-Vorpommern schon im Mittelalter so stark ausgeprägt gewesen, dass Mecklenburg als eine der Kernzonen der Hexenverfolgung gilt. Auf Rostocks Marktplatz kam es zu zahllosen Hexenverbrennungen.
    Ich bin damit aufgewachsen, dass ich, sobald ein Hühnerauge auftauchte oder der Zahn schmerzte, vor eine alte Frau gesetzt wurde, die ein paar Mal flüsternd und nuschelnd um mich herumschlich. Am nächsten Morgen klatschte dann meine Familie in die Hände, weil Hühnerauge oder Zahnweh wie von Zauberhand verschwunden war. Das hatte nichts mit fehlenden Medikamenten in der
DDR
zu tun, sondern mit der, zumindest in Vorpommern verbreiteten Sitte, bei jeglichen Krankheiten eine Besprecherin oder einen Besprecher aufzusuchen. Das Vertrauen in die Heilkraft des Besprechens ist lange erhalten geblieben. Bis heute, zumal die genuschelten Formeln und Sprüche noch immer nicht mit ins Grab genommen werden dürfen, sondern von Generation zu Generation weitergegeben werden müssen. Leider liegt diese Gabe nicht in meiner Familie, aber ich hätte sie zeitweilig unglaublich gerne gehabt, und so versuchte ich die Sprüche wenigstens zu verstehen, was aber durch das schnelle nuschelnde Flüstern des

Weitere Kostenlose Bücher