Gebrauchsanweisung für Südengland
er auch den von ihm geschätzten Wert. Oft liegt dieser eher im sentimentalen Bereich, denn nichts ist geprobt und daher gibt es auch keinerlei Garantie, daß tatsächlich irgend etwas Wertvolles auftaucht. Trotzdem hört man die Spannung im ganzen Land knistern.
Wolf von Lojewski hält die »BBC Antiques Road Show« für eine jener Sendungen der BBC, zu deren vollem Genuß uns Deutschen einfach die seelische Ruhe fehlt. Als weitere Beispiele nennt er den Wettbewerb im Schafehüten, bei dem man stundenlang zusehen kann, wie ein Border Collie nach dem anderen eine Herde Schafe zusammentreibt, Cricketländerspiele, die sich über den ganzen Sommer ziehen, sowie Snooker. Ich möchte noch die endlosen Golfmeisterschaften hinzuzählen. Sendungen, in denen auf wunderbar beruhigende Weise ganze Fernsehnachmittage und -abende lang nichts Nennenswertes passiert, deren Quoten aber von einer Beliebtheit (und Mentalität des Volkes) zeugen, von denen unsere Fernsehmacher nur träumen können.
Eine Kuriosität möchte ich in diesem Zusammenhang erwähnen, auch wenn sie strenggenommen fast schon nicht mehr nach Südengland gehört. Es geht um das kleine Städtchen Hay-on-Wye, ganz knapp auf der walischen Seite der Grenze zwischen England und Wales am Flüßchen Wye gelegen. Es ist die Pilgerstätte für alle, die alte Bücher lieben. Auf 1.300 Einwohner kommen hier um die 40 Buchhandlungen, die meisten sind Antiquariate. Eines davon ist der Hay Cinema Bookshop: In dem umgebauten Kino stapeln sich 200.000 Bücher aus zweiter Hand. Kein Thema, zu dem man hier nichts fände. Bei Marijana Dworski Books gibt es Bücher in 150 Sprachen. Manche Buchhandlungen tragen verheißungsvolle Namen wie Murder & Mayhem oder Outcast Books. Sollten Sie Bücher über Bienen suchen, sind Sie im wahrscheinlich kleinsten Antiquariat von Hay, B&K Books, bestens aufgehoben.
Das ganze Jahr über verbringen Büchernarren aus aller Welt glückliche Stunden in den Buchhandlungen von Hay. Aber jedes Jahr Ende Mai gibt es ein ganz besonderes Highlight: Zehn Tage lang wird dann das Hay Festival gefeiert, ein Literaturfestival, das 2001 über 50.000 Besucher anzog. Zu den offiziellen Gästen gehörten auch Paul McCartney und Bill Clinton – letzterer beschrieb das Festival mit den Worten: »Woodstock of the mind«.
Chris Giddings verkauft zwar auch alte Bücher, aber seine Leidenschaft gehört dem Trödel und überhaupt allem, was andere ausrangiert haben. Er litt schon immer daran: »I cannot waste« – er kann nichts wegwerfen. Also hat er seine Not zur Tugend gemacht. Sein Lebensweg verlief alles andere als gradlinig, aber irgendwie hat ihn der Trödel immer wieder eingeholt.
Mitte der 1990er Jahre, als er bereits die 50 überschritten hatte, eröffnete er seine Trödelscheune mit dem doppeldeutigen Namen Chris’ Crackers in Carhampton an der A39 nach Minehead. In dem Riesenareal des Shops kann man eine Million und einen Schatz finden. Mindestens. Alte Möbel gehören zu den gewöhnlicheren Gegenständen. Ob viktorianische Gartenwerkzeuge, alte Schrauben, Betten(-teile), Bücher, Schuhe, Reiterhelme, Pubschilder, Schaufensterpuppen, Eisenbahnzubehör (wir reden hier nicht von Spielzeugeisenbahnen) oder Kamine, Fliesen, Ziegelsteine, Rohre – es gibt alles. Manchmal muß man nur etwas länger danach kramen. Deswegen würden manche Menschen Chris’ Crackers auch eher mit »Chris ist verrückt« übersetzen. Es ist was Wahres dran. Auf jeden Fall ist Chris kein gewöhnlicher Trödelhändler, auch wenn struppige, weiße Haare, wilder Bart, kaputter Pullover und dreckige Jeans zur Grundausstattung gehören. Aber man soll eben nie vom Äußeren auf den Menschen schließen, schon gar nicht in England und erst recht nicht im West Country.
Sein Leben begann in London als unehelicher Sohn eines Dienstmädchens, die vom 17jährigen Sohn des Hauses geschwängert worden war. Nach dieser Jungfrauengeburt, wie Chris es nennt, schwor seine Mutter zunächst einmal allen irdischen Versuchungen ab, wandte sich Gott zu und ging bei einem Pfarrer in Bloomsbury in den Dienst.
Ende der 30er Jahre war zwar die Blütezeit von Bloomsbury vorbei, der Zirkel um Virginia Woolf und Vanessa Bell längst aufgelöst, aber immer noch stand die Gegend rund ums Britische Museum in London unter dem Einfluß von Intellektuellen und Künstlern, die auch im Haus von Chris’ Ersatzvater ein und aus gingen. Hope Joseph, Malerin der Newlyn Schule, wurde Chris’ Patentante.
Die
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