Geburtstag in Florenz
wegen Forbes’ Anschlag auf ihr Haus. Denn nachdem sie seine guten Taten in der Vergangenheit schon so oft gegen ihren Willen hatte erdulden müssen, war sie nun keineswegs sicher, daß er sein Angebot, ihr die Sorge um den großen Besitz zu einem generösen Preis abzunehmen, nicht auch gegen ihren Wunsch durchsetzen würde. Diesmal hatte sie nicht nur den Maresciallo angerufen, sondern zur Sicherheit auch noch den »lieben Virgilio«. Den Capitano hatte Guarnaccia dazugebeten, aus taktischen Gründen, wie er sich einredete, weil er Maestrangelo nämlich bald um mindestens einen zusätzlichen Mann würde angehen müssen. Und der Maresciallo bemühte noch allerhand sehr logische Argumente, um sich vor der Wahrheit zu drücken, daß er den Beistand des Capitanos aufgrund einer stetig wachsenden bösen Vorahnung suchte, die irgendwie mit einer Erinnerung zusammenhing, der er sich lieber nicht gestellt hätte.
Aber nun war sie wieder da. Er hatte sich hingesetzt, weil man ihn dazu aufgefordert hatte, doch jetzt erhob er sich seufzend wieder. Seine leicht vorquellenden Augen schweiften abermals zum Fenster.
»Warten Sie hier«, sagte er, denn was nun kam, das mußte er allein tun.
Er merkte weder, daß der Capitano, Zornesröte im Gesicht, Anstalten machte, ihm zu folgen, noch daß Fusarri ihn vergnügt grinsend zurückhielt. Nicht einmal als er Fara unten im Wagen sah, fiel ihm ein, daß der Junge heute keine Anweisung hatte, oben zu warten. Und als er an Sissis Tür hämmerte, wußte er auch nicht, wer ihn alles beobachtete: Maestrangelo und Fusarri durch das offene Fenster zu seiner Linken, Fara vom Wagen aus, Forbes hinter dem Gitterwerk der Scheune.
Einzig Sissi, die ihm aufmachte, begriff sofort.
Sie lächelte ihn nicht an, aber als er an ihr vorbeiging, folgte sie ihm mit wachsamen Äuglein.
»Hätte das nicht noch einen Tag Zeit gehabt? Es geht ihr gar nicht gut im Moment.«
»Wo ist sie?«
»Im Schlafzimmer. Da drüben. Wir verstehen einander, sie und ich.«
»Ja.«
»Hätte sich lösen sollen von daheim. Der einzige Weg. Ich träumte damals immer von einem furchtbaren Unfall, der das Gesicht meiner Mutter für immer entstellt hätte, so daß ich Mitleid mit ihr hätte haben können. Mich um sie kümmern. Ein Gutes hat das Alter. Jetzt wäre ich so oder so häßlich. Ha! Familien! Sie meinen nicht, daß ich dabeisein sollte?«
»Nein.«
»Werd auch nicht horchen. Will’s gar nicht hören. Schlimme Geschichte. Sehen Sie mich an: Ich hab nicht mehr geweint, seit ich siebzehn war. Kommt davon, wenn man sich mit den Menschen einläßt. Alleine ist man besser dran.«
Der Maresciallo blieb vor dem Schlafzimmer stehen, klopfte, trat ein und schloß die Tür hinter sich.
10
Sie hatte ihn nicht gehört. Jenny schlief. Sie lag mit dem Gesicht zu ihm auf einer zerwühlten Steppdecke, die Unterarme schützend über der Brust gekreuzt, die Knie angezogen. Das wellige Blondhaar bedeckte das Kissen unter ihrer verquollenen, tränenverschmierten Wange und hing in feuchten Strähnen an der schwarzen Wolle ihres Pullovers. Aber er hatte ihren ohnehin unruhigen Schlaf wohl doch gestört, denn sie drehte sich mit einem tiefen, zitternden Seufzer um und streckte sich, die Arme immer noch vor der Brust gefaltet, auf dem Rücken aus. Jenny murmelte ein paar Worte, die der Maresciallo nicht verstand, dann lag sie reglos wie eine Statue auf einem jener mittelalterlichen Grabmäler, die Guarnaccia so vertraut waren. Nur daß neben ihr kein edler Ritter ruhte, die Stiefelspitzen nach geschlagener Schlacht hoffnungsvoll gen Himmel gekehrt. Und wo konnte man sich sonst auch hinwenden, wenn es wirklich darauf ankam? Wen, dachte der Maresciallo in seiner Not, wen könnte man um Beistand für dieses Mädchen bitten, wenn nicht einen Father Jameson? Mary Mancini fiel ihm ein, doch die war Celias Freundin. Hier aber brauchte es jemanden, der die Tochter ein wenig bedauerte und die Mutter ein bißchen tadelte für ihre übergroße Liebe.
Seine eigene Mutter dagegen … Der Maresciallo war ein Mann in den Vierzigern, und es hatte all der Jahre und dieses Unglücks bedurft, damit er ihre Fähigkeit, das Leben zu meistern und anderen Halt zu geben, schätzen lernte. Ihre Gabe, sich auf die große Wäsche zu konzentrieren und gleichzeitig Tragödien auf das Maß eines fehlenden Knopfes zu reduzieren, auf die Kuh, die zu wenig Milch gab, auf das weinende Kind.
Kümmere dich darum und geh wieder an deine Arbeit. So ist das Leben, und
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