Gedenke deiner Taten
meiner Familie geholfen haben.« Das klang hoffentlich aufrichtig.
»Weil die Scheune abgebrannt ist«, sagte er, »kann ich den Mond sehen.«
Du liebe Güte. Genau das fehlte ihr noch. Ein Haiku.
Birdie bückte sich und nahm das Album in die Hand. Sie schlug es auf, nahm das Foto heraus. Ohne eine Erklärung reichte sie es ihm. Das Foto war sehr persönlich, es bedeutete ihr viel, und normalerweise behielt sie alles für sich. John betrachtete das Bild, dann Birdie. Seine Augen funkelten.
»Woher haben Sie das?«, fragte er.
»Das ist meine Mutter.«
»Und Richard Cameron?«
»Sieht so aus.«
John starrte sie stumm an. Nach einer Weile sagte er:
»Warum kommen Sie nicht mit ins Haus?«
Ehrlich gesagt war sie durchgefroren und hundemüde. Es gab nichts mehr zu sehen, und so nahm sie den Arm, den er ihr anbot, und begleitete ihn in seine wunderschöne Villa. Sie ruhte sich auf dem Sofa aus, während er Tee kochte. Als er zurückkam, sagte er:
»Ich war nicht ganz ehrlich zu Ihnen.«
»Oh.« Es war ihr vollkommen egal. Der Himmel war so klar, sie konnte kaum glauben, dass es fast die ganze Nacht geregnet hatte. Von Heart Island ging ein Glühen aus, und Birdie meinte, die Hitze zu spüren. Sie würde ein neues Haus bauen. Ihr Haus.
»Ich bin Richard Camerons Großneffe«, sagte er. »Er war der Onkel meiner Mutter.«
Er klang zerknirscht, so als sei die Information wichtig für Birdie, die sich jedoch unbeeindruckt zeigte. Egal, was er ihrer Mutter bedeutet hatte – für Birdie war Richard Cameron nur ein Geist. Bis vor Kurzem hatte sie nicht einmal seinen Namen gekannt. Sie betrachtete John genauer. Er sah dem Mann auf dem Foto nicht ähnlich, war blond und untersetzt.
»Die Umstände seines Todes beschäftigen mich sehr«, fuhr er fort, »und ich hatte natürlich von der Affäre gehört. Bislang konnte ich aber nie mit einem Augenzeugen sprechen.«
»Wer hat Ihnen von den Gerüchten erzählt?«
»Roger Murphy. Er hat als junger Mann im Yachthafen gearbeitet.«
Birdie konnte sich gut erinnern. Die harten Muskeln, die sonnengebräunte Haut. Roger hatte fantastisch ausgesehen, und sie und Caroline waren unweigerlich in Gekicher ausgebrochen, wenn er das Boot belud oder betankte. Er war so anders als die bleichen Stadtjungs an ihrer Schule. Er war bodenständig und ehrlich. Der braungebrannte Junge und die beiden kichernden Schwestern waren so weit weg, als hätten sie nie existiert.
Birdie erzählte John Cross alles, was sie wusste und beobachtet hatte. Sie hatte ihr Leben lang mit niemandem darüber gesprochen, weil sie sich insgeheim schämte. Aber seit heute Nacht plapperte sie ungehemmt drauflos. Es tat gut, sich endlich im Recht zu wissen, auch wenn sie damit die Illusionen zerstörte, die sie sich über ihre Eltern gemacht hatte.
»Er war kein einfacher Mann«, sagte John, »er hat zeitlebens gegen die Depression angekämpft. Er stand seiner Schwester nicht nah, ehrlich gesagt haben sie sich gehasst.«
»Ich habe gehört, dass er Probleme hatte.«
»Wissen Sie, was ihm zugestoßen ist?«, fragte John verlegen, so als schäme er sich für seine Neugier.
»Nein«, sagte sie, »leider nicht. Meine Mutter hat sich mir nie anvertraut. Ich habe erst vor Kurzem von der Affäre erfahren. Ich hatte meine Beobachtung immer für einen Traum gehalten.«
Sie würde nichts mehr sagen. Diese Freude machte sie ihm nicht. Die Geschichte gehörte Kate. Ihre Tochter hatte jetzt das Recht, sie zu erzählen. Als Schriftstellerin würde sie alle aufklären.
»Es gibt da ein Gerücht«, sagte John lächelnd. »Angeblich hat Kate ein Buch geschrieben. Ein kaum geschönter Bericht der Affäre zwischen einer Frau und einem berühmten Schriftsteller.«
»Ach, wirklich?«
»Wie ich hörte, soll es ganz gut sein.«
»Natürlich«, sagte Birdie. »Sie ist Katherine Elizabeth Burke. Wenn sie sich etwas vornimmt, dann mit Bedacht.«
John nickte freundlich und nippte an seinem Tee. Er wirkte ein wenig bedrückt. War er neidisch? Vermutlich war er ein verkannter Autor und verbittert darüber, dass weniger talentierte Menschen als er Bücher veröffentlichten.
»Sie müssen sehr stolz auf sie sein.«
Birdie war es gewohnt, mit Neid konfrontiert zu werden. Damit wurde sie spielend fertig.
»Ja«, sagte sie.
ACHTUNDDREISSIG
A m Yachthafen herrschte ein Durcheinander aus Polizeiautos, Krankenwagen und Feuerwehrtrucks. Als ihre Mutter das Boot in die Lücke manövrierte, rollte ein Übertragungswagen über den
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