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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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Erwachsenen dort blieben und seine Fragen beantworteten. Er hatte das Boot zu John Cross’ Anleger schleppen lassen.
    »Ich werde Chelsea aufs Festland bringen«, sagte Kate zu Birdie. »Komm mit uns. Hier gibt es nichts mehr zu sehen.«
    »Ich bleibe hier, solange es nicht vorbei ist«, sagte Birdie.
    »Mom«, sagte Kate und streckte die Hand aus, »bitte!«
    Aber Birdie hatte sich schon wieder zu den Flammen umgedreht, die immer noch hoch in den Himmel schlugen.
    »Warum will sie immerzu allein sein?«, fragte Chelsea.
    Mit sicherer Hand löste ihre Tochter die Leinen, obwohl die Wellen das Boot gegen den Anleger warfen. Chelsea war frei von Angst. Und als Kate den dunklen See und die brennende Insel beobachtete, stellte sie überrascht fest, dass sie sich ebenfalls nicht mehr fürchtete. Nicht vor dem Boot, nicht vor dem großen See, nicht vor dem Abschied vom Heart Island ihrer Kindheit.
    Als die Kinder noch klein waren, hatte Birdie während des schlimmsten Sturms seit zehn Jahren darauf bestanden, auf der Insel zu bleiben. Beim Abschied war Kate hin- und hergerissen gewesen zwischen Sorge, Trauer und Wut. Heute kam sie mit Birdies Entscheidung besser zurecht. Bislang hatte das Verhalten ihrer Mutter Kate oft verwirrt, doch auf einmal verstand sie. Wie viele andere fühlte ihre Mutter sich verloren, klebte an der Vergangenheit und hatte Angst vor der Zukunft. Auch sie war verzweifelt bemüht, in dieser wirren Welt aus Ursache und Wirkung nicht vollkommen die Kontrolle zu verlieren.
    »So ist sie nun einmal«, sagte Kate.
    »Ich find’s doof«, sagte Chelsea. »Im Ernst. Sie lässt uns nur wegen der blöden Insel im Stich.«
    »So einfach ist das nicht«, sagte Kate, obwohl sie früher ähnlich empfunden hatte.
    »Doch«, widersprach Chelsea.
    »Wenn du älter bist, wirst du erkennen, dass es im Leben nicht nur Schwarz und Weiß gibt«, erklärte Kate.
    »Das sagst du immer.«
    Chelsea weinte leise vor sich hin, das hatte sie sich als Teenager angewöhnt. Als Kleinkind hatte sie ohrenbetäubend geplärrt und ihren Zorn, ihre Enttäuschung oder ihre Schmerzen in die Welt hinausgebrüllt. Kate hatte fast frohlockt, dass ihr Kind so freimütig zu seinen Gefühlen stand, ein Beweis für seine innere Lebendigkeit. Aber im Laufe der Zeit lernten die Menschen, sich still zu verhalten, ihre Gefühle zu kontrollieren und zu unterdrücken. Und negative Empfindungen wurden auf Nebenschauplätze umgeleitet. Man aß, trank oder arbeitete zu viel, man lästerte über andere, fing Affären an, wurde zum Dieb, zum Mörder, rannte vor dem Gesetz davon.
    Kate steuerte das Boot weiter auf das Festland zu. In der Bootsschule hatte sie sich der lähmenden Angst vor dem Was-wäre-wenn gestellt und den Mut gehabt, das Ruder zu ergreifen und aufs Wasser hinauszufahren. Und wenn etwas schiefging, war sie in der Lage, auch das zu überstehen.
    Ein gutes Feuer ist wie eine Katharsis, ein reinigender Hauch aus dem Universum. In der Natur beseitigt das Feuer die alte, verfaulte Vegetation und bereitet den Boden auf neue Samen und Wurzeln vor. Ohne Feuer pflanzten die Bäume sich nicht fort, denn die jungen Samen erstickten am alten Laub. Ein Haus kann zerstört, aber auch wieder aufgebaut werden. Und in jedem Verlust steckt der Samen des Neuanfangs, der Veränderung.
    Deswegen musste Kate nicht mehr weinen, deswegen hielt sich ihre Trauer in Grenzen. Vielleicht stand sie unter Schock und brach später zusammen. Die Angst, die Flucht vor dem Inferno, das Bad im eisigen See, die kraftlose, hilflose Lulu – vielleicht traf sie alles mit voller Wucht, sobald sie wieder an Land war. Aber nun dachte sie, dass kaum ein Ort auf Erden eine reinigende Katharsis besser gebrauchen konnte als Heart Island.

SIEBENUNDDREISSIG
    E milys Welt war neblig und trüb. Sie trug eine Maske über Mund und Nase und lag in einem Krankenwagen. Das Auto wurde von zwei Polizisten bewacht. Der Notarzt hatte sie angewiesen, die Handschellen zu entfernen, und sie hatten gehorcht. Vielleicht spürten die anderen ihre tiefe Mattigkeit oder dass sie keinen Zufluchtsort mehr hatte. Sie lauschte auf alle Geräusche – feste Schritte, Stimmen, gelegentlich ein Schrei oder eine Sirene. Sie hörte das Rauschen der Funkgeräte, das Stakkato aus Namen und Zahlen. Es herrschte hektische Betriebsamkeit, es ging zu wie in einem Bienenstock. Sie war das stille, unbewegte, tote Zentrum.
    Die FBI -Agentin Eliza Griffin hatte Emily unzählige Fragen gestellt, die Emily so gut es ging

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