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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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lagen.
Gloria ging durch den Raum, benannte die Werkzeuge und erklärte ihren Verwendungszweck. Sie schien eine Menge von Zahnheilkunde zu verstehen, obwohl sie sich dem Wunsch ihres Vaters widersetzt hatte. Dieser Raum, sagte sie, sei ihres Vaters geheimes Allerheiligstes.
»Wer wird denn hier behandelt?« fragte ich.
»In letzter Zeit kommen nicht mehr so viele Patienten, aber ich erinnere mich an Tage, an denen Papa länger hier arbeitete als in seiner öffentlichen Praxis. Ein armer polnischer Junge hat mindestens sechs Stunden in diesem Stuhl gesessen. Er war schließlich so erschöpft, daß Papa ihn zur Erholung auf ein Weilchen zu Mama und mir ins Wohnzimmer schickte.«
»Agenten?«
»Ja, natürlich. An der Universität hat Papa eine Dissertation über die Geschichte der europäischen Zahnheilkunde geschrieben. Danach fing er an, alte zahnärztliche Instrumente zu sammeln. Jetzt kann er irgend jemandem in den Mund sehen und genau sagen, wo der Betreffende beim Zahnarzt gewesen ist und wann. Sieh dir das an.« Sie hielt ein besonders barbarisch anmutendes Instrument in die Höhe. »Das hier ist sehr alt … aus Rußland.«
»Ich habe Schwein gehabt«, sagte ich. »Ich habe meine Zähne immer in Berlin behandeln lassen, und meine Tarnungsgeschichte war immer deutsch. Ich habe mir also nie das Gebiß verändern lassen müssen.«
»Ich weiß, daß mein Vater vielen Agenten alle Spuren früherer zahnärztlicher Behandlung entfernen und ihnen ein total neues Gebiß machen mußte, mal ein russisches, mal ein polnisches, mal ein griechisches … Einmal machte er altmodisch spanische Dentalarbeit für einen Mann, der die Identität eines Bürgerkriegsveteranen annehmen sollte. Komm und sieh dir die Werkstatt an.«
Sie schloß die Tür des anschließenden Raumes auf, und wir gingen hinein. Dieser Raum war noch vollgestopfter als der andere, mit Aktenschränken und Regalen voller Werkzeuge und Gerät. Da gab es eine winzige Drehbank, eine Bohrmaschine und sogar einen kleinen elektrischen Brennofen. Auf einem großen Tisch am Fenster lag ein Werkstück, das offenbar noch in Arbeit war. Eine Tischlampe beleuchtete den unter einem Tuch verborgenen Gegenstand. Gloria nahm das Baumwolltuch weg und stieß einen kleinen Schrei aus, als sich ein menschlicher Schädel zeigte. »Ach, armer Yorick! Wir dürfen ihn nicht berühren. Er dient wahrscheinlich zu Demonstrationszwecken, vielleicht soll er für ein Lehrbuch fotografiert werden. Er macht Reproduktionen alter zahnärztlicher Kunst als Vergleichsmaterial für Polizeipathologen und Leichenschauhäuser überall in der Welt. Mit dieser Arbeit muß es eine besondere Bewandtnis haben, so sorgfältig zugedeckt, wie sie da liegt.« Ich ging näher und sah mir den Schädel an. Er glänzte wie Kunststoff, und das Gebiß war mit Goldplomben und Porzellankronen repariert. »Hast du niemals Zahnärztin werden wollen?«
»Niemals. Und Papa war immer so rücksichtsvoll, daß er mich auch nie deswegen unter Druck gesetzt hat. Erst vor kurzem ist mir klargeworden, wie sehr er immer gehofft hat, mich für seine Praxis und für seine Sammlung zu interessieren. Manchmal arbeiteten Studenten in seiner Praxis mit. Einmal brachte er einen erst kürzlich promovierten Zahnarzt zum Essen mit. Ich habe mich oft gefragt, ob er nicht gehofft hat, daß es zwischen uns zu einer Romanze käme.«
»Schließen wir hier ab und gehen nach Hause«, sagte ich.
»Sollen wir gebratenen Fisch und Pommes für die ganze Familie mitnehmen?«
»Au ja. – Es tut mir leid, daß ich in letzter Zeit manchmal so schlecht gelaunt gewesen bin, Liebling.«
»Ich habe gar nicht gemerkt, daß du anders warst als gewöhnlich«, sagte sie.

18
    Als ich später daran zurückdachte, war ganz offenbar dieses Wochenende in Berlin der Anfang vom Ende, aber im nachhinein war man vermutlich immer klüger. Damals kam es mir allein wegen der Hektik, mit der ein Treffen nach dem anderen anberaumt wurde, ungewöhnlich vor, und der Aufregung, die Frank Harrington, – der immer etwas von einer Glucke gehabt hat – verbreitete, der mich mitten in der Nacht rief, um mir dann gestehen zu müssen, daß er vergessen hatte, was er eigentlich von mir gewollt habe.
    Nicht, daß bei irgendeinem dieser Treffen groß was herausgekommen wäre. Es handelte sich dabei vielmehr um die üblichen zwanglosen Besprechungen der Berliner Einsatzgruppe, bei denen Frank in seiner unnachahmlich onkelhaften Manier als Vorsitzender fungierte, unaufhörlich seinen

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