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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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unten roch es stark nach dem Gummi der Fußmatten. Werner hatte die Vordersitze vorgerückt, um mir hinten genug Platz zu schaffen. Werner dachte an alles. Unter seinen ruhigen, logischen und konventionellen Äußerungen verbarg sich eine verzehrende Leidenschaft – um nicht zu sagen Besessenheit – für Spionage. Werner folgte den veröffentlichten und unveröffentlichten Sagas des kalten Krieges mit der Hingabe, die andere Männer an die schwankenden Geschicke von Fußballmannschaften wandten. Werner wäre der perfekte Spion gewesen. Nur daß perfekte Spione wie perfekte Ehemänner zu berechenbar sind, in einer Welt zu überleben, in der das Glück den Impulsiven begünstigt. Zwei uniformierte Polizisten gingen vorbei zu ihrem Wagen. Einer von ihnen sagte: »Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.«
»Schiller«, sagte Werner in einem Ton, in dem sich Stolz und Bewunderung mischten.
»Vielleicht studiert er für den Aufstieg in den gehobenen Dienst«, sagte ich.
»Irgend jemand hat Spengler eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und ihn erstickt«, sagte Werner, nachdem die Polizisten in ihren Wagen gestiegen und abgefahren waren. »Ich nehme an, er war betrunken und hat sich nicht sehr gewehrt.«
»Die Polizei wird sich seinetwegen keine grauen Haare wachsen lassen«, sagte ich. Ein toter Junkie in dieser Gegend von Kreuzberg war nicht die Sensation, zu der sich Pressefotografen drängten. Spengler kriegte bestenfalls ein paar Zeilen im Lokalteil.
»Spengler schlief in deinem Bett«, sagte Werner. »Irgend jemand hat dich umzubringen versucht.«
»Wer will mich umbringen?« sagte ich.
Werner schneuzte sich sehr sorgfältig mit einem großen weißen Taschentuch. »Du hast in letzter Zeit unter erheblicher Anspannung gestanden, Bernie. Ich weiß nicht, ob ich damit fertig geworden wäre. Du brauchst dringend ein bißchen Erholung.«
»Versuch nicht, mich zu schonen«, sagte ich. »Was willst du mir sagen?«
Er runzelte die Stirn in dem Bemühen, die richtige Formulierung dessen, was er mir sagen wollte, zu treffen. »Du machst eine komische Zeit durch. Du denkst nicht mehr gerade.«
»Erzähl mir nur, wer mich umbringen will.«
»Ich wußte, daß ich dich beunruhigen würde.«
»Du beunruhigst mich nicht, aber sag es mir.« Werner zuckte die Achseln.
»So ist es«, sagte ich. »Jeder erzählt mir, daß ich in Lebensgefahr bin, aber niemand weiß, durch wen.«
»Du hast ein Hornissennest aufgescheucht, Bernie. Deine eigenen Leute wollen dich verhaften, die Amerikaner dachten, du wolltest ihnen Ärger machen, und Gott weiß, was Moskau sich zusammenreimt.«
Jetzt fing er an zu reden wie Rudi Kleindorf, genaugenommen wie eine Menge Leute, die der Versuchung, mir gute Ratschläge zu geben, nicht widerstehen konnten. Ich sagte: »Würdest du mich zur Wohnungstür des Langen fahren?« Für einen Augenblick überlegte er.
»Da ist niemand zu Hause.«
»Woher weißt du das?« fragte ich.
»Ich habe jeden Tag angerufen, genau wie du’s mir gesagt hast. Außerdem Briefe geschrieben.«
»Ich werde an die Tür hämmern. Vielleicht hatte ja der Große recht. Vielleicht stellt der Lange sich taub. Vielleicht ist er die ganze Zeit zu Hause.«
»Und geht nicht ans Telefon und liest nicht seine Post? Das würde dem Langen aber gar nicht ähnlich sehen.«
Der Lange war ein Amerikaner, der in Berlin lebte, seit es Berlin gab. Werner konnte ihn nicht leiden. Allerdings gab es kaum jemanden, der den Langen mochte, außer vielleicht seiner geduldigen Frau, und die besuchte mehrmals im Jahr Verwandte. »Vielleicht macht auch er gerade eine komische Zeit durch«, sagte ich.
»Ich komme mit.«
»Setz mich einfach vor der Haustür ab.«
»Und wie willst du wieder nach Hause kommen?« fragte Werner in dem klagenden, gequälten Ton, den er immer anschlug, wenn er mich bei einer katastrophalen Dummheit gewähren lassen mußte.
Als wir in die Straße kamen, wo der »Lange« John Koby wohnte, dachte ich, Werner würde wegfahren und mich mir selbst überlassen, aber sein Zögern war nur vorübergehend, und er wollte schließlich nichts davon wissen, daß ich alleine hinaufging.
Es war eines der für Berlin typischen Mietshäuser der Gründerzeit. Seit meinem letzten Besuch hier waren die Haustür und die Eingangshalle frisch gestrichen worden, auch hatte man dort eine Reihe von Hausbriefkästen angebracht, die jeder mit dem Namen eines Mieters gekennzeichnet waren. Doch bis zur ersten Etage hinauf war die Renovierung nicht

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