Gedrillt
eines ›Ausbruchs von Viehseuche‹. Was immer sie zu diesem Zweck benutzten, es hat jedenfalls dem
zweiunddreißigjährigen Kranführer aus Rostock, der im Kofferraum eingeschlossen war, den Atem verschlagen, für immer. Es heißt, daß Verwandte von ihm in Toronto, Kanada, für seine Flucht bezahlt hatten.«
»Wie, sie haben den Kofferraum eines Diplomatenwagens geöffnet?«
»Nein, brauchten sie doch gar nicht«, sagte der Lange finster. »Vielleicht sollte das Giftgas dem mutmaßlichen blinden Passagier nur Kopfschmerzen machen. Aber als der Kofferraum hier aufgemacht wurde, war der Mann darin tot.
Hast du das damals gehört, Bernd?«
»Nicht so, wie du es erzählst«, räumte ich ein.
»Genauso war es aber. Ich habe den Wagen gesehen. In den Kofferraum waren von unten Luftlöcher gebohrt, damit der Flüchtling nicht erstickte. Die Grenzposten müssen das gewußt haben und auch, wo sie waren.«
»Und wie ging die Geschichte weiter?«
»Der gewitzte afrikanische Diplomat machte kehrt und nahm die Leiche wieder mit nach Ostberlin in seine Botschaft.
Da wurde mittels vordatierter Papiere der Tote zum afrikanischen Staatsbürger. Verstorben in der Botschaft: Totenschein von einem afrikanischen Arzt ausgestellt, deshalb keine Ermittlungen der Volkspolizei. Stille Beerdigung auf
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dem Friedhof in Marzahn. Aber jetzt kommt der Witz.
Irgendein Idiot im Ausschuß für Auswärtiges der Volkskammer meint, eine Geste des Beileids sei angebracht.
Und so schicken sie – im Namen der Regierung und des Volkes der DDR – einen riesigen Kranz, auf dem, aus winzigen Röschen gebildet, die Worte ›Frieden, Vertrauen und Freundschaft‹ zu lesen waren. Der Kranz lag da ein oder zwei Tage auf dem Grab, bis irgend jemand vom Stasi ihn diskret entfernte.« Der Lange lachte laut. »Sei nicht so griesgrämig, Bernie«, sagte er und lachte noch mehr.
»Ich dachte, du hättest bessere Neuigkeiten für mich, Langer. Ich dachte, die Verhältnisse hätten sich ein bißchen entspannt.«
»Ich glaube ja nicht, daß es auf dem Weg über Ungarn oder die Tschechoslowakei leichter geht. Der Zaun ist überall dicht.
Und wenn du liest, wie viele Leute bei dem Versuch, über die Mauer zu kommen, getötet worden sind, mußt du die Hunderte noch dazuzählen, die irgendwo außer Sicht auf der anderen Seite in aller Stille verblutet sind.«
»Das ist guter Tee, Gerda«, sagte ich. Ich war noch immer ein bißchen verlegen, wenn ich sie beim Vornamen nannte. Sie war eine von diesen altmodischen Deutschen, denen Höflichkeitsformen noch wichtig sind. Andererseits war sie mit dem Langen verheiratet.
»Willst du jemanden rüberbringen, Bernie?« fragte der Lange. »Hoffentlich ist er reich und kann ordentlich was zahlen.«
»Werners Schwager aus Cottbus«, sagte ich. »Kein Geld, kein gar nichts.«
Werner, der von einem Schwager in Cottbus nichts wußte, sah verdutzt aus, erholte sich aber sofort und stand mir bei.
»Ich hab’s versprochen«, sagte Werner und lehnte sich zurück und lächelte wenig überzeugend.
Der Lange sah uns einen nach dem anderen an. »Kann er
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nach Ostberlin kommen?«
»Er wird in diesem Sommer dort sein«, improvisierte Werner. »Mit seinem Sohn, zum Fest der Freien Deutschen Jugend.« Der Lange nickte. Werner war ein weitaus besserer Lügner, als ich gedacht hatte. Ich fragte mich, ob er sich diese Kunst während seiner Ehe mit der zänkischen Zena angeeignet hatte.
»Dann hast du ja nicht mehr viel Zeit«, sagte der Lange.
»Es muß einen Weg geben«, sagte Werner. Er sah auf seine Uhr und stand auf. Er wollte gehen, ehe ich ihn noch tiefer in dieses Märchen verwickelte.
»Ich werde es mir mal überlegen«, sagte der Lange, als er Werners Mantel und Hut holte. »Hattest du keinen Mantel, Bernie?«
»Nein«, sagte ich.
»Ist dir nicht kalt, Bernard?« sagte Gerda.
»Nein, niemals«, sagte ich.
»Laß ihn«, sagte der Lange. Er öffnete die Tür, aber ehe sie weit genug offen war, daß wir hindurchgehen konnten, sagte er: »Wo ist die andere Hälfte dieses Geldscheines, Bernard?«
Ich reichte sie ihm.
Der Lange steckte sie in die Tasche und sagte: »Ein halber Geldschein nützt niemandem was. Stimmt’s, Bernie?«
»Das stimmt, Langer«, sagte ich. »Ich wußte, daß du schnell daraufkommen würdest.«
»Ich komme schnell auf eine Menge Sachen«, sagte er bedeutungsvoll.
»Ach, was denn noch?« fragte ich im Hinausgehen. »Na etwa, daß in diesem Sommer kein Fest der Freien
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