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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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wissen?«
    »Wie man rüberkommt, von drüben. Ich bin nicht mehr auf dem neuesten Stand.«
    Er starrte mich einen Augenblick an, als überlegte er sich meine Anfrage. »Glasnost kannst du vergessen«, sagte der Lange. »Für den Fall, daß du danach fragen wolltest. Den Grenzposten hat von Glasnost noch keiner was gesagt. Da wird noch immer Geld ausgegeben für die Verbesserung der Minenfelder und Stacheldrahtzäune. Da drüben hat sich nichts geändert. Noch immer wird auf jeden armen Teufel geschossen, der so aussieht, als wollte er aus ihrem Teil der Stadt abhauen.«
    »Das habe ich schon gehört«, sagte ich. »Wo soll ich also anfangen?«
    »Am Anfang.«
    »Berliner Mauer. Etwa 70 Kilometer davon umschließen Westberlin. Erbaut Sonntagmorgen, 13. August 1961 … Aber was soll das, Bernard, du warst schließlich dabei!«
    »Macht nichts! Erzähl’s mir einfach so, wie du’s den ausländischen Journalisten erzählst. Ich muß die ganze Geschichte noch mal durchgehen.« Der Anflug eines Lächelns gab mir zu verstehen, daß der Spott angekommen war. »Also

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    dann: Zuerst war die in aller Eile hochgezogene Mauer noch nicht vollkommen dicht, so daß es für jemanden, der jung, fit und entschlossen genug war, nicht allzu schwierig war, durchzukommen.«
    »Wie?«
    »Unter anderem durch die Kanalisation. Die
    Abwasserkanäle konnten nicht ohne aufwendigste Bauarbeiten zugemauert werden. Einer von meinen Jungs kam durch die Kanalisation aus Klein-Machnow herüber, eine Woche nach dem Mauerbau. Die im Osten hatten Drahtgitter benutzt, die den Durchfluß nicht beeinträchtigten. Meine Leute von dieser Seite gingen mit Drahtscheren rein, schnitten ein Loch in das Gitter, und so kam er raus. Später wurde es allmählich schwieriger. Sie wurden heimtückisch: Statt der Drahtgitter installierten sie Stahlstangengitter, dazu Alarmanlagen und Tretminen – die auf dem Boden der Abflüsse lagen, so daß man sie nicht sah. Die einzigen, von denen ich gehört habe, daß ihnen während der letzten Jahre die Flucht durch die Abwasserkanäle gelungen ist, waren beide ostdeutsche Kanalarbeiter, die so Gelegenheit hatten, die Gitter im voraus zu lockern.«
    »Dann kamen also die Tunnels«, sagte ich.
    »Nein, zuerst wurde mal geklettert auf Teufel komm raus.
    Mit Leitern und Matratzen über die Stacheldrahthindernisse.
    Und dann gab’s die Leute, die aus den Fenstern der Häuser gerade an der Grenze sprangen – in die hilfreich ausgebreiteten Sprungtücher der Westberliner Feuerwehr. Das gab phantastische Fotos und trieb die Auflagen in die Höhe, hat aber nicht lange gedauert.«
    »Und Autos«, sagte Werner.
    »Na klar, Autos: jede Menge Autos. Erinnert ihr euch an den Kabinenroller … an den armen Kerl, der in den Raum für den Tank gequetscht war? Aber sie kamen den Erfindern schnell auf die Schliche. Und dann wurden alle Berliner, die

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    bei den Grenztruppen dienten, durch sture Jungens aus den Provinzen ersetzt, schießfreudige Landburschen, die die Berliner sowieso nicht leiden konnten. Die machten solche Tricks bald unmöglich.«
    »Falsche Papiere?«
    »Darüber solltest du eigentlich mehr wissen als ich«, sagte der Lange. »Aber ich erinnere mich, daß die Leute sich ein paar sehr komische Tricks ausdachten. Ihr Briten habt ja Pässe für Ehepaare, und das hat ein paar Amateuren erlaubt, die eine und andere Person rauszuschleusen, bis die Vopo daraufkam,
    ›Reist allein‹ in diese Pässe zu stempeln und die Leute bei der Einreise zu fotografieren, um zu verhindern, daß jemand anders ausreiste.«
    »Dann sind die Leute in Segelflugzeugen, Flugdrachen, sogar mit Heißluftballons abgehauen«, sagte Werner hilfreich.
    Er sah mich neugierig an und versuchte offenbar herauszukriegen, weshalb ich wohl den Langen auf eines seiner Lieblingsthemen gebracht hatte.
    »Allerdings«, sagte der Lange. »Immer wieder diese verrückten komischen Apparate – und einige funktionierten sogar. Aber nur die wirklich billigen Ideen waren sicher und zuverlässig.«
    »Billig?« sagte ich. Diese Theorie war mir neu.
    »Je mehr Geld in eine Flucht investiert wurde, desto mehr Leute wurden in das Unternehmen verwickelt, und desto größer wurde auch das Risiko. Eine Methode, die Kosten zu decken, bestand darin, die Geschichte an Zeitungen, Zeitschriften oder Fernsehsender zu verkaufen. Manchmal kam das Geld auf diese Weise rein, aber dann lungerten immer Kameraleute an den Straßenecken herum oder lehnten irgendwo aus dem

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