Gefaehrlich sexy
geklingelt, aber bisher haben wir auf keinen Anruf reagiert. Denn wir brauchten erst mal Zeit für uns allein.
Ich blicke verschlafen auf den Radiowecker und reiße erschreckt die Augen auf. Es ist erst 4.23 Uhr. Weshalb ruft mich Grace um diese Uhrzeit an?
Ich springe aus dem Bett, und obwohl das Klingeln aufhört, ehe ich das Handy finde, fängt es gleich darauf erneut an zu klingeln, und ich drücke hektisch auf den grünen Knopf.
»Hallo?«
»Dahl, es tut mir leid, dass ich schon wieder bei dir anrufe«, sagt er, und bei seinem wehmütigen Ton wogt heißer Zorn in meinem Innern auf. Weil es einfach der Gipfel ist, dass dieser Kerl Graces Telefon benutzt, damit er noch mal mit mir sprechen kann.
»Ich will nicht mit dir reden, Ben. Ruf mich nie wieder an.« Wutschnaubend will ich gerade auf den Aus-Knopf drücken, doch bevor ich ihn erreiche, stößt er heiser aus: »Es geht um Grace.«
Mein Puls fängt an zu rasen, und ich taumle zurück zum Bett.
Eilig setzt sich River auf. »Gib mir das Telefon.«
Doch ich schüttle den Kopf und hebe abwehrend die Hand.
»Was ist mit ihr?«
Ben sagt ewig nichts.
River presst die Lippen aufeinander und versucht, mein Telefon zu schnappen, aber ich wende mich ab.
»Sag mir, was passiert ist, Ben.«
River macht das Licht an und hüllt mich in eine Decke ein.
»Oh, Dahl, sie ist im Krankenhaus.«
Meine Augen füllen sich mit Tränen. »In welchem Krankenhaus? Was ist passiert?«
»Es sieht schlecht aus, Dahl. Ich würde es dir lieber sagen, wenn du hier bist.«
River sieht mir an, dass dies ein echter Notfall ist. Er steht auf und steigt in seine Boxershorts und seine Jeans.
»Nein, sag es mir jetzt.«
»Wir haben sie gestern Abend in die Notaufnahme gebracht. Sie hatte einen schweren Schlaganfall.«
»Einen schweren Schlaganfall? Was heißt, sie hatte einen schweren Schlaganfall?« Ich zittere, und mir wird schwindlig, während ich versuche zu verstehen.
River ist bereits am hoteleigenen Telefon und spricht mit dem Empfang.
Ben bricht in Tränen aus. »Sie ist bewusstlos. Sie hatte eine starke Hirnblutung. Komm besser so schnell wie möglich her.«
»Aber sie wird wieder gesund, nicht wahr?«
»Komm einfach her. Wir sind im Mission Hospital.« Damit legt er wieder auf.
Ich starre River mit halboffenem Mund un d panisch aufgerissenen Augen an. Er erwidert ängstlich meinen Blick und ich möchte ihn beruhigen, doch ich bringe keinen Ton heraus. Schließlich stoße ich mit belegter, kaum hörbarer Stimme aus: »Wir müssen so schnell es geht nach Laguna ins Krankenhaus. Es geht um Grace.«
Er nimmt mich in den Arm, und ich lehne mich kurz an seine Brust. Dann legt er eine Hand unter mein Kinn und zwingt mich sanft, ihn anzusehen. »Ich komme mit. Okay?«
Ich blinzle gegen die Tränen an. Ich wurde schon so oft gebrochen und musste die Einzelteile meines Lebens neu zusammensetzen – bitte nicht noch mal. Bitte, bitte nicht noch mal. Ich schmiege mein Gesicht an seine Brust und schluchze: »Hoffentlich wird sie wieder gesund.«
*
Sirenen heulen, rote Lichter kreisen, und ein Krankenwagen hält direkt unter dem leuchtend blauen Schild, auf dem »Notaufnahme« steht. River folgt den Schildern zum Besucherparkplatz, und wir biegen in die dunkle Tiefgarage ein. Er drückt meine Hand und führt mich in das Gebäude, doch ich starre schweigend vor mich hin. Denn der Gedanke daran, was mich hier erwartet, macht mir eine Heidenangst. Die Schiebetür geht lautlos auf und wieder zu. Wir treten zur Rezeption vor, River nennt Graces Namen und nach ein paar Klicks auf die Computertastatur schickt uns die Frau auf die »Komfortpflege«-Station. Ich überlege, ob diese Bezeichnung eine gute oder eine schlechte Nachricht ist, als mich plötzlich ein schnappendes Geräusch zusammenfahren lässt. Es war nur die Halterung einer Transportliege, die eingerastet ist, aber aus irgendeinem Grund ist das Geräusch im Augenblick zu viel für mich.
Jeder Schritt bringt mich näher zu Grace. Ich sehe mich um und denke wieder mal, dass Krankenhäuser befremdliche Orte sind. Die Menschen sprechen dort immer mit Flüsterstimmen. Aber warum tun sie das? Befürchten sie vielleicht, dass alles irgendwie realer wird, wenn man mit lauter Stimme spricht? Ich sehe im Vorbeigehen durch die offenen Türen diverser Zimmer. Überall sitzen Verwandte an den Betten von geliebten Menschen, manche alt und manche jung, manche bereits auf dem Weg der Besserung und andere sterbenskrank.
Wir nähern
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