Gefaehrliche Begierde
gespielt wird, um die Gentlemen anzulocken.«
»Heiratsmarkt? Ich wette, das ist eher eine Fleischbeschau, wo Fleisch verkauft wird! Und was noch viel schlimmer ist, intelligente Frauen werden gemieden. Jeder weiß, dass die jungen Frauen sich lieber den Männern unterwerfen und die Ehe der natürliche Zustand für sie ist.«
»Möchten Sie denn nicht hingehen?«, fragte Sara ungläubig.
»Oh, ich kann es kaum erwarten! Es wird mich mit unerschöpflichem Stoff versorgen für meine klugen, aber ziemlich grausigen Karikaturen.«
Sie schlenderten die Pall Mall entlang. Alex entdeckte einen Mann, der Kuchen verkaufte, und kaufte ihm ein Stück ab. Sara hatte nichts dagegen, auf der Straße zu essen, doch war es das erste Mal, dass sie eine Lady so etwas tun sah.
»Ich möchte gern die Theater sehen. Wie kommen wir nach Covent Garden und in die Drury Lane?«
Sara war hin und her gerissen. Sie wusste, dass Alex sich nicht in eine solch verrufene Gegend begeben sollte, doch musste sie zugeben, dass der Gedanke sehr aufregend war. Schauspielerinnen und die verschiedenen Klassen der Gesellschaft, die sie anzogen, waren faszinierend. Sara entschied sich für einen Kompromiss. »Ich sollte Sie wirklich nicht dorthin bringen, aber wenn wir verschwinden, ehe es dunkel wird, wird uns nichts geschehen.«
Verdammt, wenn sie jetzt schon Bedenken hat, mich in die Theatergegend zu führen, was wird sie dann erst denken, wenn ich die Gefängnisse besuche und Bedlam?
Als sie sich der Charing Cross Road näherten, bemerkte Alex, dass es hier viel mehr Menschen gab, die zu Fuß gingen, und nicht viele waren modisch gekleidet. Straßenhändler mit Schubkarren priesen ihre Waren an und machten gute Geschäfte. Sie blickte auf und entdeckte einige Kirchtürme sowie eine Menge Tavernen und Geschäfte, in denen Zigaretten verkauft wurden, zwischen Spielhöllen. Die Türen standen offen, und der Lärm aus dem Inneren war ohrenbetäubend, der Geruch nach billigem Bier, Gin und Tabak lag in der Luft, man hörte Fluchen, Schreien und Lachen. Obwohl es erst Nachmittag war, stolperten einige Männer betrunken aus den Häusern, sie spuckten auf den Boden und übergaben sich in den Rinnstein.
Sara und Alex warfen einander einen Blick zu, hoben die Röcke und eilten weiter. In der Drury Lane waren gerade die Vormittagsvorstellungen beendet, und die Menschenmenge, die auf die Straße strömte, warf Orangenschalen, Nussscha-len, Brotkrumen sowie andere Essensreste auf die Straße. Viele Hunde und auch Tauben stritten sich um die Überreste, während Alex sich die Nase zuhielt, weil der Schweißgeruch sie überwältigte.
»Ich hätte Sie niemals hierher bringen dürfen«, meinte Sara.
»Nein, nein, ich bin vollkommen begeistert! London, das sind nicht nur die Stadthäuser in Mayfair und Almacks. Ich will alles sehen!« Alex starrte einen gut aussehenden jungen Mann an, der mit drei auffällig bunt gekleideten Frauen zusammen war, von denen keine besonders sauber, jung oder hübsch aussah. Sie fragte sich, was er wohl an ihnen fand, dann begriff sie plötzlich, dass es Dirnen waren, und er war ihr Zuhälter! Sie verspürte den überwältigenden Wunsch, das Bild auf ihrem Skizzenblock festzuhalten, doch besaß sie genug Verstand nicht gerade jetzt ihren Skizzenblock hervorzuziehen. Sie würde bis zu Hause warten müssen, doch die Gruppe bot einen so lebhaften Eindruck, dass sie sicher keine Mühe haben würde, sich daran zu erinnern.
Der Rauch aus den Kaminen ließ das Licht früher verschwinden als auf dem Land, und zögernd beschloss Alex, nach Mayfair zurückzukehren. »Nun, Sara, wir sind nicht weit gekommen, aber wir haben eine ganze Menge gesehen. Wir haben spät angefangen, beim nächsten Mal werden wir den ganzen Tag unterwegs sein. Das ist ganz sicher der faszinierendste Ort auf der ganzen Welt. Ich möchte in den Teil gehen, der innerhalb der Stadtmauer liegt und Londons Schönheiten sehen, aber auch die weniger guten Gegenden. Hauptsächlich möchte ich jedoch die Menschen kennen lernen, die in dieser Stadt leben«, erklärte Alex leidenschaftlich. »Lass uns auf einem anderen Weg zurückgehen.«
Als sie über die Long Acre gingen, wollte Alex einem Milchmädchen Eselsmilch abkaufen. Sie entdeckte eine Bettlerin, an deren zerschlissene Röcke sich ein Kind klammerte. Ein anderes Kind saß auf ihrem Rücken. Mit einem entschuldigenden Blick auf Sara gab Alex der Frau das einzige Geld, das sie noch hatte, dann gingen sie über die
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