Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Titel: Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Asprion
Vom Netzwerk:
Angeklagte (IQ 112)“ habe „von seinen durchaus vorhandenen Steuerungsfähigkeiten keinen Gebrauch gemacht und sich gehen lassen“. Der Sachverständige stellte eine Behandlungsbedürftigkeit fest, die im Rahmen einer Psychotherapie stattfinden soll. Dies und der Umstand, dass die Sozialtherapeutische Anstalt eine entsprechende Therapie anbot, bewog die Kammer zur Anordnung der Sicherungsverwahrung – trotz der Umstände, die aus Sicht des Gerichts zugunsten des Angeklagten sprachen:
    „Zugunsten des Angeklagten wird weiter gewürdigt, dass die familiären Gegebenheiten in seinem Elternhaus nicht besonders gut waren. Sein Vater und seine Mutter kümmerten sich nicht allzu sehr um ihn und er hatte keine eigentliche Bezugsperson. Diese Umstände bewirkten wohl, dass er lange Bettnässer war und später bei ihm auch frühneurotische Störungen aufkamen, unter denen er noch heute leidet. Es liegt bei ihm eine schwere seelische Abartigkeit vor. Daraus entsprangen in einem gewissen Umfang mit seine Taten.
    Für den Angeklagten ist weiter in Ansatz zu bringen, dass er bei den vorliegenden Taten keine eigentliche körperliche Gewalt anwandte. Die Zeuginnen schilderten ihn eher als behutsam. Die Folgen der Delikte bei den Geschädigten waren im Vergleich zu sonstigen derartigen Taten nicht zu gravierend. Seine Opfer konnten das Geschehen verdrängen oder zwischenzeitlich annähernd verarbeiten.
    Schließlich beachtet die Strafkammer noch für den Angeklagten, dass er in hohem Maß strafempfindlich ist und bereits die Untersuchungshaft – erkennbar auf ihn eingewirkt hat. Der Angeklagte ist relativ jung. Er hat annähernd keine Beziehungenzu Personen außerhalb der Haftanstalt, nachdem seine Ehefrau wegen der vorliegenden Geschehnisse die Ehe mit ihm nicht fortsetzen will. Gerade dies trifft den Angeklagten schwer, zumal er vor allem sehr an seinem Sohn hängt.“ 21
    25 Jahre – und jetzt?
    Zum Zeitpunkt der Verurteilung bedeutet dies für Ludwig Roser, dass ihm nach fünf Jahren verbüßter Freiheitsstrafe noch zehn Jahre Unterbringung in der Sicherungsverwahrung drohten. Tatsächlich wurde er nach 26 Jahren und neun Monaten Freiheitsentzug im September 2010 aus der Haft entlassen; elf Jahre und neun Monate später, als er es sich bei der Urteilsverkündung für den schlimmsten Fall hätte ausrechnen können.

Leben mit dem Urteil
    „Das Gefängnis beraubt den Menschen nicht nur der Freiheit,
    es sucht, ihm auch die Identität zu nehmen“

    Nelson Mandela

    Leicht waren die Haftbedingungen für Gerhard Kraus und Ludwig Roser sicher nicht. Zu Beginn der Haftzeit von Gerhard Kraus galt noch nicht einmal das neue Strafvollzugsgesetz. Der Reform des Strafvollzugs waren Gefängnisskandale vorausgegangen; es war sogar zu von Bediensteten verursachten Todesfälle von Gefangenen gekommen. Vor der Reform waren disziplinarische Maßnahmen wie Essensentzug, Dunkelhaft, Schweigehof und anderes zulässig. Die Gefangenen durften die Vollzugsbeamten nicht ungefragt ansprechen.
    An das neue Strafvollzugsgesetz richteten sich viele, auch euphorische Erwartungen. Es hatte als oberstes Ziel eine an der Resozialisierung der Gefangenen orientierte Behandlung. Schädlichen Auswirkungen sollte entgegengewirkt werden, der offene Strafvollzug galt als Regelvollzug. Lockerungen, Ausbildung, psychologische, sozialarbeiterische Behandlung und Unterstützung waren als Standardmaßnahmen formuliert. Da hätte es doch mit Gerhard Kraus und Ludwig Roser, die ja bei ihrem Haftbeginn gerade erst um die 25 Jahre alt waren, im Sinne einer baldigen Wiedereingliederung in die Gesellschaft gut laufen können.
    Bestrafte Zeit
    „‚Das habe ich getan‘,
    sagt mein Gedächtnis.

    ‚Das kann ich nicht getan haben‘, –
    sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich.
    Endlich –
    gibt das Gedächtnis nach.“

    Friedrich Nietzsche

    Unter dem Titel „Die bestrafte Zeit“ veröffentlichte der Autor Henry Jäger im Jahr 1964 einen Roman, in dem er seine Zuchthauszeit beschreibt. Die meiste Zeit hatte er im Freiburger Gefängnis gesessen, wo auch Gerhard Kraus und Ludwig Roser die Zeit ihrer Sicherungsverwahrung verbrachten. Im Titel drückt er bereits aus, wie er die Inhaftierung erlebte, als eine Zeit, in welcher der Gefangene als Mensch unwichtig wird; seine (Lebens)Zeit wird bestraft.
    Wenn das auf einen Inhaftierten zutrifft, dann auf Gerhard Kraus. Können Sie sich 35 Jahre vorstellen? Aus Filmen, in denen Gefangene versuchen, ein Gefühl für die

Weitere Kostenlose Bücher