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Gefährliche Geliebte

Gefährliche Geliebte

Titel: Gefährliche Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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bißchen spazieren gegangen. Ich suchte die Umgebung des Hauses nach ihr ab, dann stieg ich ins Auto und fuhr bis zur nächsten Ortschaft. Von Shimamoto keine Spur. Ich fuhr zum Ferienhaus zurück, aber sie war nicht wieder aufgetaucht. Dann fiel mir ein, sie könnte mir eine Nachricht hinterlassen haben, und ich durchsuchte das ganze Haus. Aber es war nichts zu finden. Nichts, was darauf hingewiesen hätte, daß sie jemals dagewesen war.
    Ohne sie wirkte das Haus leer und erstickend. Grobkörniger Staub hing in der Luft, der mir bei jedem Atemzug in der Kehle hängenblieb. Die Schallplatte fiel mir ein, die alte Nat-King-Cole-Platte, die sie mir geschenkt hatte. Aber sosehr ich auch danach suchte, sie war nicht zu finden. Sie mußte sie mitgenommen haben.
    Wieder einmal war Shimamoto aus meinem Leben verschwunden. Diesmal jedoch, ohne irgend etwas zurückzulassen, woran ich meine Hoffnungen hätte hängen können. Kein Wahrscheinlich diesmal. Kein eine Zeitlang mehr.

15
    Kurz vor vier am Nachmittag war ich wieder in Tokio. Wider alle Hoffnung hoffend, daß Shimamoto zurückkäme, war ich bis Mittag im Ferienhaus in Hakone geblieben. Das Warten war eine Qual, darum hatte ich die Zeit totgeschlagen, indem ich die Küche putzte und alle Kleider im Haus hervorholte und neu einräumte. Die Stille war bedrückend; die gelegentlichen Geräusche von Vögeln oder Autos erschienen mir unnatürlich, falsch synchronisiert. Jedes Geräusch war verbogen, erdrückt unter dem Gewicht einer unaufhaltsamen Macht. Und inmitten von alldem wartete ich darauf, daß etwas geschähe. Irgend etwas muß geschehen, versicherte ich mir. So kann es nicht enden.
    Aber nichts geschah. Shimamoto war nicht die Frau, die einen einmal gefaßten Entschluß wieder umstieß. Ich mußte nach Tokio zurück. Die Wahrscheinlichkeit war zwar verschwindend gering, aber wenn sie doch versuchen sollte, sich mit mir in Verbindung zu setzen, dann würde sie es über die Bar tun. Jedenfalls hatte es keinen Sinn, noch länger im Ferienhaus zu bleiben.
    Auf der Rückfahrt hatte ich die größte Mühe, mich zu konzentrieren. Ich verpaßte Abfahrten, überfuhr beinahe rote Ampeln und geriet immer wieder auf die falsche Spur. Nachdem ich endlich auf dem Parkplatz des Clubs angekommen war, rief ich von einer Telefonzelle aus zu Hause an. Ich sagte Yukiko, ich sei wieder da und werde gleich zur Arbeit gehen.
    »Ich hab mir Sorgen gemacht. Du hättest ja wenigstens anrufen können.« Ihre Stimme klang hart und spröde.
    »Es ist alles in Ordnung. Kein Grund zur Sorge«, sagte ich. Keine Ahnung, wie meine Stimme in ihren Ohren klang. »Es ist schon ziemlich spät, deswegen gehe ich jetzt gleich ins Büro und sehe die Bücher durch und gehe dann direkt in den Club.«
    Im Büro setzte ich mich an den Schreibtisch und schaffte es irgendwie, die Zeit bis zum Abend herumzubringen. Ich ging die Ereignisse der vergangenen Nacht durch. Shimamoto mußte aufgestanden sein, während ich schlief - sie selbst hatte offenbar kein Auge zugetan -, und das Haus noch vor dem Morgengrauen verlassen haben. Wie sie in die Stadt zurückgekommen sein mochte, war mir ein Rätsel. Bis zur Hauptstraße war es ein ganzes Stück, und zu dieser frühen Morgenstunde mußte es nahezu unmöglich gewesen sein, in den Hügeln um Hakone einen Bus oder ein Taxi zu finden. Und außerdem hatte sie Schuhe mit hohen Absätzen angehabt.
    Warum hatte mich Shimamoto so verlassen müssen? Während der ganzen Rückfahrt nach Tokio hatte diese Frage mich gepeinigt. Ich hatte ihr gesagt, daß ich mich für sie entschieden hatte, und sie hatte gesagt, sie habe sich für mich entschieden. Und dann hatten wir uns geliebt - rückhaltlos, ohne Vorbehalte. Trotzdem hatte sie mich verlassen, ohne auch nur ein Wort der Erklärung. Sogar die Schallplatte hatte sie mitgenommen, ihr Geschenk an mich. Es mußte einen Grund für ihre Handlungsweise geben, aber zu logischem Denken war ich nicht mehr fähig. Jeder Pfad, den ich einschlug, endete im Morast. Mit meinen Bemühungen, mich zum Nachdenken zu zwingen, erreichte ich nur, daß mir der Kopf dumpf dröhnte. Erst jetzt merkte ich, wie ausgelaugt ich war.
    Ich setzte mich auf das Bett, das in meinem Büro stand, lehnte mich gegen die Wand und machte die Augen zu. Als ich sie erst einmal geschlossen hatte, bekam ich sie nicht wieder auf. Ich konnte nur noch eins: mich erinnern. Wie in einer Endlosschleife liefen Erinnerungen an die vergangene Nacht in mir ab, immer und immer

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