Gefaehrliche Liebe
erinnern, dass er letzte Nacht hereingekommen ist. Ich drehe mich um, vorsichtig, um ihn nicht zu stören, aber er ist schon wach.
»Keine Albträume«, sagt er. »Was?«, frage ich.
»Letzte Nacht hattest du keine Albträume«, sagt er.
Das stimmt. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit habe ich durchgeschlafen. »Aber ich habe etwas geträumt«, erwidere ich und versuche mich zu erinnern. »Ich bin einem Spotttölpel durch den Wald gefolgt. Ganz lange. In Wirklichkeit war er Rue. Als er sang, hatte er ihre Stimme.«
»Wohin hat sie dich geführt?«, fragt Peeta und streicht mir die Haare aus der Stirn.
»Ich weiß nicht. Wir sind nicht angekommen«, sage ich. »Aber ich war glücklich.«
»Du hast auch geschlafen, als ob du glücklich wärst«, sagt er.
»Peeta, wieso merke ich es nie, wenn du einen Albtraum hast?«, frage ich.
»Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass ich weine oder um mich schlage oder so. Ich wache einfach auf und bin wie gelähmt vor Panik«, sagt er.
»Dann weck mich doch«, sage ich und denke daran, dass ich ihn in meinen schlechten Nächten oft zwei- oder dreimal wecke. Und dass es dann oft ganz lange dauert, bis ich mich wieder beruhigt habe.
»Das ist nicht nötig. Meine Albträume handeln meistens davon, dass ich dich verliere«, sagt er. »Wenn ich merke, dass du da bist, geht es mir schon wieder gut.«
Uff. Peeta sagt so etwas einfach dahin und es trifft mich wie ein Schlag in den Magen. Er hat mir nur eine ehrliche Antwort auf meine Frage gegeben. Er drängt mich nicht, darauf etwas zu erwidern, irgendeine Liebeserklärung zu machen. Trotzdem fühle ich mich schrecklich, als hätte ich ihn gemein ausgenutzt. Habe ich das? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es mir zum ersten Mal unmoralisch vorkommt, ihn hier in meinem Bett zu haben. Was schon paradox ist - schließlich sind wir jetzt offiziell verlobt.
»Wenn wir erst zu Hause sind und ich wieder allein schlafe, wird das schlimmer«, sagt er.
Stimmt ja, wir sind fast zu Hause.
Für Distrikt 12 steht heute ein Abendessen im Haus von Bürgermeister Undersee auf dem Programm und morgen während des Erntefests eine Siegesfeier auf dem Platz. Das Erntefest wird immer am letzten Tag der Tour gefeiert, doch normalerweise bedeutet es ein Essen zu Hause oder mit ein paar Freunden, wenn man es sich leisten kann. Dieses Jahr wird es eine öffentliche Veranstaltung sein, und da das Kapitol alles spendiert, wird sich der ganze Distrikt den Bauch vollschlagen können.
Die Vorbereitung wird zum größten Teil im Haus des Bürgermeisters stattfinden, denn jetzt müssen wir uns für die Auftritte im Freien wieder in Pelze hüllen. Am Bahnhof bleiben wir nur kurz, wir lächeln und winken, während wir uns ins Auto zwängen. Nicht einmal unsere Familien bekommen wir vor dem Abendessen zu Gesicht.
Ich bin froh, dass das Essen beim Bürgermeister stattfindet und nicht im Justizgebäude, wo die Gedenkfeier für meinen Vater abgehalten wurde und wo ich mich nach der Ernte so qualvoll von meiner Familie verabschieden musste. Das Justizgebäude ist zu sehr mit Trauer verbunden.
Das Haus von Bürgermeister Undersee dagegen gefällt mir, besonders seit seine Tochter Madge und ich Freundinnen sind. In gewisser Weise waren wir das schon immer. Offiziell wurden wir es, als sie sich persönlich von mir verabschiedet hat, bevor ich in die Spiele ziehen musste. Da hat sie mir die Spotttölpelbrosche als Glücksbringer gegeben. Als ich wieder zu Hause war, haben wir uns hin und wieder getroffen. Es stellte sich heraus, dass auch Madge viele leere Stunden füllen muss. Am Anfang war es ein bisschen krampfig, weil wir nicht wussten, was wir machen sollten. Andere Mädchen in unserem Alter habe ich über Jungs reden hören oder über andere Mädchen oder über Mode. Madge und ich tratschen nicht gern und Kleider finde ich sterbenslangweilig. Doch nach einigen missglückten Anläufen begriff ich, dass sie für ihr Leben gern in den Wald wollte, also habe ich sie ein paarmal mitgenommen und ihr gezeigt, wie man mit Pfeil und Bogen umgeht. Sie versucht mir Klavierspielen beizubringen, aber ich höre lieber zu, wenn sie spielt. Manchmal esse ich bei ihr zu Hause oder sie bei mir. Madge gefällt es bei mir besser. Ihre Eltern scheinen nett zu sein, aber ich glaube nicht, dass Madge sie oft zu Gesicht bekommt. Ihr Vater hat als Oberhaupt von Distrikt 12 jede Menge zu tun, und ihre Mutter leidet häufig unter heftigen Kopfschmerzen, die sie tagelang ans Bett
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