Gefaehrliche Liebe
holt das Band heraus. »Konntest du nicht schlafen?«
»Nicht sehr lange«, sage ich. Ich muss wieder an die alte Frau denken, die sich in ein Nagetier verwandelt hat, und ziehe den Bademantel fester um mich.
»Möchtest du darüber reden?«, fragt er. Manchmal hilft das, aber ich schüttele nur den Kopf und fühle mich schwach, weil ich schon jetzt von Leuten heimgesucht werde, mit denen ich noch gar nicht gekämpft habe.
Als Peeta die Arme ausstreckt, lasse ich mich sofort hineinfallen. Es ist das erste Mal seit der Verkündung des Jubel-Jubiläums, dass er mir irgendeine Art von Zuwendung gewährt. Bisher war er eher ein sehr strenger Trainer gewesen, der Haymitch und mich ständig angetrieben und gefordert hat, damit wir schneller rennen, mehr essen, Details über unseren Feind erfahren. Keine Spur mehr vom einstigen Geliebten. Er tat nicht einmal mehr so, als wäre er mein Freund. Schnell schlinge ich die Arme fest um seinen Hals, bevor er mir befehlen kann, Liegestütze zu machen oder so. Er zieht mich an sich und vergräbt sein Gesicht in meinem Haar. Von dort, wo seine Lippen meinen Hals berühren, breitet sich langsam Wärme in mir aus. Es fühlt sich so gut an, so unfassbar gut, dass ich weiß, ich werde mich bestimmt nicht als Erste aus der Umarmung lösen.
Warum auch? Ich habe Gale Lebewohl gesagt. Ich werde ihn nie wiedersehen, das ist ganz sicher. Was ich auch tue, ihn kann es nicht mehr verletzen. Er wird es nicht sehen, oder er wird denken, ich schauspielere für die Kameras. Immerhin eine Last weniger auf meinen Schultern.
Der Diener kommt herein und wir lösen uns voneinander. Er stellt ein Tablett mit einem dampfenden Keramikkrug warmer Milch und zwei große Tassen auf den Tisch. »Ich hab noch eine Tasse mitgebracht«, sagt er.
»Danke«, antworte ich.
»Ich habe Honig in die Milch getan, zum Süßen. Und etwas Gewürz ...« Er sieht uns an, als wollte er noch etwas sagen, dann schüttelt er nur leise den Kopf und verlässt den Raum.
»Was ist denn mit dem los?«, frage ich.
»Wahrscheinlich tun wir ihm leid«, meint Peeta.
»Ganz bestimmt«, sage ich und gieße die Milch ein.
»Das meine ich ernst. Im Kapitol sind bestimmt nicht alle froh darüber, dass wir noch mal in die Arena müssen«, sagt Peeta. »Oder die anderen. Sie haben ihre Sieger lieb gewonnen.«
»Schätze, sie werden drüber wegkommen, wenn erst mal Blut fließt«, halte ich dagegen. Wenn ich für eins nun wirklich keine Zeit habe, dann, darüber nachzudenken, wie sich das Jubel-Jubiläum auf die Stimmung im Kapitol auswirkt. »Und, schaust du dir alle Bänder noch mal an?«
»Nein. Ich will nur herausfinden, welche Kampftechnik die Leute so draufhaben«, sagt Peeta.
»Welches kommt als Nächstes?«, frage ich.
»Nimm irgendeins«, sagt Peeta und hält mir die Kiste hin.
Auf den Bändern stehen das Jahr der Spiele und der Name des Siegers. Ich krame ein bisschen und halte plötzlich ein Band in der Hand, das wir noch nicht angeschaut haben. Nummer fünfzig. Das Jahr des zweiten Jubel-Jubiläums. Und der Name des Siegers lautet: Haymitch Abernathy.
»Das haben wir noch nicht gesehen«, sage ich.
Peeta schüttelt den Kopf. »Nein. Haymitch würde es auch nicht wollen, das wusste ich. Wir würden ja auch nicht gern unsere Spiele noch mal durchleben müssen. Und da wir im gleichen Team sind, dachte ich nicht, dass es wichtig wäre.«
»Ist der, der die fünfundzwanzigste Ausgabe gewonnen hat, dabei?«, frage ich.
»Ich glaube nicht. Wer immer das war, er muss inzwischen gestorben sein, denn Effie hat mir nur die Bänder der Sieger geschickt, mit denen wir es möglicherweise zu tun bekommen.« Peeta wiegt Haymitchs Band in der Hand. »Wieso? Meinst du, wir sollten es uns anschauen?«
»Es ist das einzige Jubel-Jubiläum, das wir haben. Vielleicht erfahren wir etwas Brauchbares darüber, was die da so machen«, sage ich. Aber mir ist nicht wohl dabei. Es kommt mir vor wie ein schwerwiegender Eingriff in Haymitchs Privatsphäre. Ich weiß zwar nicht, wieso, das Ganze war schließlich öffentlich, aber trotzdem. Gleichzeitig bin ich wahnsinnig neugierig. »Wir müssen Haymitch ja nicht erzählen, dass wir es uns angeschaut haben.«
»Okay«, stimmt Peeta zu. Er legt das Band ein, und ich kauere mich mit meiner gesüßten und gewürzten Milch, die wirklich köstlich ist, neben ihn und versinke in den fünfzigsten Hungerspielen. Nach der Hymne sieht man Präsident Snow, der den Umschlag für das zweite Jubel-Jubiläum
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