Gefaehrliche Liebe
gehe.
Kaum jemand macht sich je die Mühe, dort vorbeizuschauen. Ich mag den Trainer, und er ist beglückt, mich zu sehen, vielleicht weil ich letztes Jahr schon bei ihm war. Er freut sich, als ich ihm zeige, dass ich immer noch die Falle beherrsche, durch die der gefangene Feind an einem Bein von einem Baum baumelt. Bestimmt hat er mitbekommen, welche Fallen ich letztes Jahr in der Arena gestellt habe, und sieht in mir nun eine fortgeschrittene Schülerin. Deshalb bitte ich ihn, alle Knoten zu wiederholen, die nützlich sein könnten, sowie ein paar, die ich wahrscheinlich nie anwenden werde. Ich wäre froh, wenn ich den Vormittag mit ihm allein verbringen könnte, aber nach anderthalb Stunden legt mir jemand von hinten die Arme um und vollendet mit seinen Fingern mühelos den komplizierten Knoten, mit dem ich mich gerade abgemüht habe. Finnick natürlich, der in seiner Kindheit offenbar nichts anderes getan hat, als Dreizacke zu schwingen und Schnüre auf raffinierte Weise zu Netzen zu verknoten. Eine Weile schaue ich zu, wie er ein Tauende nimmt, eine Schlinge macht und dann mir zu Gefallen so tut, als würde er sich erhängen.
Ich verdrehe die Augen und gehe weiter zur nächsten leeren Station, wo die Tribute lernen können, wie man Feuer macht. Ich kann schon hervorragend Feuer machen, aber nicht ohne Streichhölzer. Deshalb lässt mich der Trainer mit Feuerstein, Stahl und verkohlten Lumpen üben. Das ist viel schwerer, als es aussieht, und obwohl ich so konzentriert wie möglich arbeite, brauche ich eine Stunde, bis ich ein Feuer in Gang habe. Als ich mit triumphierendem Lächeln aufschaue, stelle ich fest, dass ich Gesellschaft bekommen habe.
Die beiden Tribute aus Distrikt 3 stehen neben mir, mühen sich mit Streichhölzern ab und entfachen doch nur ein bescheidenes Feuerchen. Am liebsten würde ich weitergehen, aber erstens möchte ich zu gern noch mal den Feuerstein ausprobieren, und außerdem muss ich Haymitch nachher ja berichten können, dass ich versucht habe, mich anzufreunden, und die zwei scheinen erträglich zu sein. Beide sind klein, haben aschgraue Haut und schwarzes Haar. Wiress, die Frau, ist etwa so alt wie meine Mutter, sie spricht mit ruhiger, intelligenter Stimme. Aber mir fällt sofort auf, dass sie oft mitten im Satz abbricht, als ob sie die Anwesenheit ihres Gegenübers völlig vergessen hätte. Beetee, der Mann, ist älter und ein unruhiger Typ. Er trägt eine Brille, guckt aber die ganze Zeit drunter durch. Die beiden sind irgendwie schräg, doch immerhin kann ich bei ihnen ziemlich sicher sein, dass sie mir die Peinlichkeit ersparen werden, sich nackt auszuziehen. Und außerdem sind sie aus Distrikt 3. Vielleicht können sie meine Vermutung bestätigen, dass es dort einen Aufstand gegeben hat.
Ich sehe mich im Trainingscenter um. Peeta steht inmitten einer lärmenden Runde von Messerwerfern. Die Morfixer aus Distrikt 6 befinden sich an der Tarnstation und bemalen einander die Gesichter mit hellrosa Kringeln. Der männliche Tribut aus Distrikt 5 ist bei den Schwertkämpfern und erbricht gerade einen Schwall Wein. Finnick und die alte Frau aus seinem Distrikt üben sich im Bogenschießen. Johanna Mason ist wieder nackt und reibt sich für die Ringerübung die Haut mit Öl ein. Ich beschließe zu bleiben, wo ich bin.
Wiress und Beetee entpuppen sich als unaufdringliche Zeitgenossen. Sie wirken freundlich, horchen mich aber nicht aus. Wir unterhalten uns über unsere Talente; sie erzählen, dass sie beide Erfinder sind, was mein vermeintliches Interesse an Mode ziemlich schwach erscheinen lässt. Wiress erwähnt irgendein Nähutensil, an dem sie gerade tüftelt.
»Es spürt selbstständig die Dicke des Stoffes und wählt danach die Stärke ...«, sagt sie, doch bevor sie weitersprechen kann, wird sie von einem trockenen Grashalm abgelenkt.
»... die Stärke des Fadens«, führt Beetee die Erläuterung zu Ende. »Automatisch. Menschliches Versagen ausgeschlossen.« Dann spricht er über seinen jüngsten Erfolg, einen Musikchip, der so klein ist, dass er Platz in einer Glitzerpaillette hat und trotzdem mehrere Stunden Musik speichern kann. Ich erinnere mich, dass Octavia während der Hochzeitsaufnahmen davon gesprochen hat, und ich sehe eine Chance, auf den Aufstand anzuspielen.
»Oh ja. Mein Vorbereitungsteam war vor ein paar Monaten ganz sauer darüber, dass sie nicht mehr zu kriegen waren«, sage ich beiläufig. »Ich schätze, eine Menge Bestellungen aus Distrikt 3 mussten
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