Gefaehrliche Liebe
aber alternde Sieger sind, wie man sieht, einfach nur bemitleidenswert. Ein paar Jüngere wie Johanna und Finnick oder solche, deren Körper noch nicht vom Verfall gezeichnet sind, wie Seeder und Brutus, können immerhin ein wenig Würde wahren. Aber die, die Opfer von Alkohol, Morfix oder Krankheit sind, und das sind die meisten, sehen in ihren Kostümen, die Kühe oder Bäume oder Brotlaibe darstellen, einfach grotesk aus. Letztes Jahr haben wir uns über jeden Konkurrenten ausführlich unterhalten, aber heute fällt nur hier und da mal ein Kommentar. Kein Wunder, dass die Menge durchdreht, als Peeta und ich erscheinen, denn in unseren fantastischen Kostümen sehen wir wahnsinnig jung und stark und schön aus. Genau so, wie Tribute aussehen sollen.
Sobald die Sendung vorüber ist, stehe ich auf, danke Cinna und Portia für ihre tolle Arbeit und gehe schlafen. Effie erinnert noch daran, dass wir uns zeitig zum Frühstück treffen wollen, um unsere Trainingsstrategie zu besprechen, aber selbst ihre Stimme klingt hohl. Arme Effie. Mit Peeta und mir hatte sie endlich mal ein anständiges Jahr bei den Spielen, und jetzt ist alles so durcheinandergeraten, dass selbst sie das Ganze nicht ins Positive drehen kann. Und das, nehme ich an, ist für Leute aus dem Kapitol eine echte Tragödie.
Gleich nachdem ich mich hingelegt habe, klopft es leise an meine Tür, aber ich ignoriere es. Ich möchte Peeta heute Nacht nicht bei mir haben. Schon gar nicht, wenn Darius in der Nähe ist. Das ist fast so schlimm, als ob Gale hier wäre. Gale. Wie könnte ich ihn loslassen, während Darius durch die Flure spukt?
In meinen Albträumen sind diesmal Zungen die Hauptdarsteller. Erst schaue ich starr und hilflos zu, wie behandschuhte Hände die blutige Amputation in Darius' Mund ausführen. Dann bin ich auf einer Party, wo alle Masken tragen und jemand mit einer zuckenden nassen Zunge - Finnick, nehme ich an - mir nachstellt, doch als er mich fängt und seine Maske abzieht, ist es Präsident Snow, und von seinen Wulstlippen tropft blutiger Speichel. Schließlich bin ich wieder in der Arena, meine Zunge ist so trocken wie Sandpapier, während ich versuche, einen Wassertümpel zu erreichen, der jedes Mal, wenn ich ihn berühren will, zurückweicht.
Ich wache auf, taumele ins Bad, trinke Wasser aus dem Hahn, bis ich nicht mehr kann. Ich streife die verschwitzten Kleider ab, lasse mich nackt zurück ins Bett fallen und schlafe irgendwie wieder ein.
Am nächsten Morgen trödele ich so gut es geht, denn ich habe nicht die geringste Lust, unsere Trainingsstrategie zu besprechen. Was gibt es da zu besprechen? Jeder Sieger weiß doch bereits, was die anderen draufhaben. Oder mal draufgehabt haben. Peeta und ich werden weiter die Verliebten spielen, mehr nicht. Irgendwie ist mir nicht danach, darüber zu reden, besonders wenn Darius stumm dabeisteht. Ich dusche ausgiebig, ziehe gemächlich die Sachen an, die Cinna mir fürs Training bereitgelegt hat, und bestelle über eine Sprechanlage von der Speisekarte Essen aufs Zimmer. Kurz darauf erscheinen Würstchen, Eier, Bratkartoffeln, Brot, Saft und heiße Schokolade. Ich esse mich satt und versuche das Ganze bis zehn Uhr in die Länge zu ziehen, wenn wir hinunter ins Trainingscenter müssen. Um halb zehn wummert ein offenbar stinksaurer Haymitch gegen die Tür und befiehlt mir, in den Speisesaal zu kommen, und zwar SOFORT! Aber ich putze mir erst noch gemächlich die Zähne, bevor ich mich aufmache, den Flur hinunterzuschlendern, womit ich weitere fünf Minuten schinde.
Der Speisesaal ist leer bis auf Peeta und Haymitch, dessen Gesicht von Alkohol und Ärger gerötet ist. Am Arm trägt er einen massiv goldenen Armreif mit Flammenmuster, den er unglücklich dreht - das muss sein Beitrag zu Effies Partnerlook-Plan sein. Ein wirklich hübscher Armreif, aber die Bewegung lässt ihn so aussehen wie etwas, das einengt, eher eine Fessel als ein Schmuckstück. »Du kommst zu spät«, schnauzt Haymitch mich an.
»Tut mir leid. Ich hab verschlafen, nachdem ich die halbe Nacht von verstümmelten Zungen geträumt habe.« Ich möchte feindselig klingen, doch am Ende des Satzes stockt meine Stimme.
Haymitch wirft mir einen finsteren Blick zu, dann lenkt er ein. »Okay, macht nichts. Heute beim Training hast du zwei Aufgaben. Nummer eins: verliebt sein.«
»Natürlich«, sage ich.
»Nummer zwei: Freundschaften schließen«, fährt Haymitch fort.
»Nein«, sage ich. »Ich traue keinem von denen, die meisten
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