Gefaehrliche Liebe
Vorbereitungsteam geweckt. Der Anblick von Peeta und mir, wie wir nebeneinander schlafen, ist zu viel für Octavia, sie bricht sofort in Tränen aus. »Denk daran, was Cinna uns gesagt hat«, sagt Venia eindringlich. Octavia nickt und geht schluchzend aus dem Zimmer.
Peeta muss zur Vorbereitung in sein Zimmer und ich bleibe mit Venia und Flavius allein. Das übliche Geplapper fällt heute aus. Es wird überhaupt kaum geredet, höchstens wenn ich das Kinn heben soll oder wenn etwas über eine Schminktechnik gesagt wird. Es ist fast Mittag, als ich merke, dass etwas auf meine Schulter tropft, und als ich mich umdrehe, sehe ich Flavius, wie er mir die Haare schneidet, während ihm stumm die Tränen über das Gesicht laufen. Venia wirft ihm einen strengen Blick zu und da legt er die Schere vorsichtig auf dem Tisch ab und geht.
Dann ist nur noch Venia übrig, ihre Haut ist so blass, dass die Tattoos herauszuspringen scheinen. Fast starr vor Entschlossenheit frisiert sie mich, sie manikürt mir die Nägel und schminkt mich mit schnellen Fingern, so macht sie das Fehlen ihrer Kollegen wett. Die ganze Zeit weicht sie meinem Blick aus. Erst als Cinna kommt, um mich zu begutachten, nimmt sie meine Hände, schaut mir direkt in die Augen und sagt: »Wir möchten dir alle sagen, was für eine ... Ehre es war, dich schön machen zu dürfen.« Dann geht sie eilig aus dem Zimmer.
Mein Vorbereitungsteam. Meine albernen, oberflächlichen, liebevollen Schätzchen mit ihren Feder- und Partyticks brechen mir mit ihrem Abschied fast das Herz. Venias letzte Worte zeigen es deutlich: Wir alle wissen, dass ich nicht zurückkehren werde.
Weiß es die ganze Welt?,
frage ich mich. Ich schaue Cinna an. Er weiß es, ganz bestimmt. Doch er hält sein Versprechen, von ihm drohen keine Tränen.
»Also, was ziehe ich heute Abend an?«, frage ich mit einem Blick auf die Tasche, in der mein Kleid steckt.
»Präsident Snow höchstpersönlich hat die Kleiderordnung festgelegt«, sagt Cinna. Er zieht den Reißverschluss auf, und zum Vorschein kommt eins der Hochzeitskleider, die ich beim Fototermin getragen habe. Schwere weiße Seide mit tiefem Ausschnitt, eng anliegender Taille und Ärmeln, die vom Handgelenk bis zum Boden fallen. Und Perlen über Perlen. Eingestickt in das Kleid und in die Bänder, die ich um den Hals trage, ebenso wie auf der Krone für den Schleier. »Am Abend des Fotoshootings wurde zwar das Jubel-Jubiläum verkündet, aber die Leute haben trotzdem über ihr Lieblingskleid abgestimmt, und das hier hat gewonnen. Der Präsident sagt, du musst es heute Abend tragen. Unsere Einwände blieben ungehört.«
Ich reibe ein Stück Seide zwischen den Fingern und versuche Präsident Snows Gedankengang nachzuvollziehen. Da mich die größte Schuld trifft, will er offenbar meinen Schmerz, meinen Verlust und meine Erniedrigung in den Mittelpunkt rücken. Und hiermit glaubt er das deutlich machen zu können. Es ist so barbarisch, mein Hochzeitskleid zu meinem Totenhemd zu machen, dass es mich hart trifft und einen dumpfen Schmerz in meinem Innern hinterlässt. »Tja, es war ja auch schade um das schöne Kleid«, ist alles, was ich sage.
Vorsichtig hilft Cinna mir in das Kleid. Als ich es auf den Schultern spüre, ziehe ich sie unwillkürlich hoch. »War das immer schon so schwer?«, frage ich. Ich erinnere mich, dass einige der Kleider aus dickem Stoff waren, aber dieses scheint einen Zentner zu wiegen.
»Ich musste es wegen der Beleuchtung ein wenig ändern«, sagt Cinna. Ich nicke, ohne zu verstehen, was das damit zu tun hat. Er zieht mir die Schuhe an und schmückt mich mit Perlen und Schleier. Verleiht meinem Make-up den letzten Strich. Lässt mich ein paar Schritte gehen.
»Du siehst hinreißend aus«, sagt er. »Katniss, das Oberteil ist so passgenau, dass ich dich bitte, die Arme nicht über den Kopf zu heben. Jedenfalls nicht, ehe du dich drehst.«
»Soll ich mich wieder drehen?«, frage ich und denke an mein Kleid vom letzten Jahr.
»Bestimmt wird Caesar dich darum bitten. Und wenn nicht, schlag es selbst vor. Aber nicht gleich. Bewahr es dir für das große Finale auf«, sagt Cinna.
»Gib mir ein Zeichen, damit ich Bescheid weiß, wann es so weit ist«, sage ich.
»Mach ich. Hast du dir für das Interview irgendwas überlegt? Ich weiß, dass Haymitch es ganz euch überlassen hat«, sagt er.
»Nein, dieses Jahr werde ich einfach improvisieren. Komischerweise bin ich überhaupt nicht aufgeregt.« Das bin ich wirklich nicht.
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