Gefährliche Praxis
Zunge herauszustrecken. »Sind außer ihrem Zimmer noch andere durchwühlt worden?« fragte sie.
»Nein, es war wirklich sehr seltsam. Ich habe zu ihr gesagt, sie hätte wahrscheinlich in irgendeinem armen frustierten Mann so eine Art Fetischismus geweckt. Wenn Sie mich fragen, er nahm die Kamera nur zur Täuschung mit, hat in Wirklichkeit aber nach etwas Persönlichem gesucht; aber tatsächlich gab es nichts in ihrem Zimmer, was die Suche gelohnt hätte« – Jackie glitt hastig über die unglücklichen Implikationen hinweg, die diese Bemerkung enthielt –, »und natürlich ist sie herumgelaufen wie die Oberlehrerin an einem Mädchenpensionat. Ich habe ihr immer wieder gesagt, daß sie wirklich sehr gut aussehen könnte, wenn sie sich nur die Haare abschneiden würde, statt sie lang und zurückgekämmt zu tragen, und wenn sie halt ein bißchen aus sich machte. Ich war fasziniert von dem Foto, das der Polizist hier herumgezeigt hat, offenbar jemand, der mit Janet in Verbindung stand. Vielleicht hat sie sich draußen ja mit einem Mann getroffen, obwohl mir das unwahrscheinlich vorkommt. Wenn aber, dann hat sie ihn gut vor uns verborgen.«
»Ging sie oft aus?«
»Nein, nicht oft, aber ziemlich regelmäßig. Sie ging zum Dinner aus, oder sie verschwand ganz einfach und ging offensichtlich nicht in die Bibliothek. Ich glaube, irgendwer hat sie mal mit einem Mann gesehen.«
»Wer?« fragte Kate. »Jemand, der auch das Foto gesehen hat?«
»Danach hat mich der Kriminalbeamte auch gefragt«, sagte Jackie in ihrer Art, die einen rasend machen konnte, »aber, wissen Sie, ich kann mich nicht erinnern. Es war jemand, mit dem ich mich am Brunnen unterhalten habe, weil ich mich erinnere, daß jemand Seifenpulver in den Brunnen geschüttet hatte, und wir, dieses Mädchen und ich, haben darüber geredet. Aber ich kann mich nicht erinnern, wie die Frage überhaupt aufgekommen ist – irgendwie sagte ich, man erwartet ja eigentlich nicht, Seifenpulver in einem Brunnen zu finden, und sie sagte, es passieren eben auch unerwartete Dinge und so weiter. Aber ich kann mich einfach nicht erinnern, wer das war. Vielleicht habe ich alles nur geträumt. Natürlich war sie – ich meine Janet – ein Einzelkind, und ich glaube, die wechselseitige Rivalität einer geschwisterlichen Beziehung trägt eine Menge zur Entwicklung der Persönlichkeit bei, nicht wahr?«
Es sah nicht so aus, als erwarte sie eine Antwort darauf, aber Kate stand auf und sah deutlich auf ihre Uhr. Auch wenn es um die Aufklärung eines Mordfalls ging – es gab einen Punkt, über den sie nicht hinausgehen wollte. Miss Lindsay folgte ihr zur Tür. »Sie lassen es mich wissen«, sagte Kate und bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall, »wenn Sie sich an die Person erinnern, die Janet und den Mann zusammen gesehen hat, ja?«
»Warum sind Sie daran so interessiert?« fragte Jackie.
»Danke für den Kaffee«, gab Kate zurück, schloß die Tür hinter sich und eilte mit Miss Lindsay den Korridor hinab.
»Ein Jammer, daß niemand sie ermordet hat«, sagte Miss Lindsay und traf damit genau Kates Gedanken. »Ich glaube, selbst die Polizei würde den Fall gerne zu den ungeklärten Akten legen.«
Mit einem intensiven Gefühl von Frustration machte Kate sich auf den Weg zur Universitätsverwaltung. Dort gelang es ihr, nachdem sie etwas nachdrücklich geworden war – Jerry würde sagen, sie hätte »das Gewicht ihrer Persönlichkeit zum Einsatz gebracht« –, die Unterlagen über Janet Harrison in die Hand zu bekommen. Das erste- und zweifellos das letztemal in ihrem Leben war Kate froh über die moderne Manie, was Formulare angeht. Sie begann bei Janets Seminarscheinen. Ihre Zensuren lagen bei B minus, hin und wieder bei B. Für Kates erfahrenes Auge bedeutete das, daß ihre Lehrer sie für fähig hielten, die Note A zu erreichen, daß ihre Leistungen aber wahrscheinlich nur auf C-Niveau war. Es gab unter den Professoren die deutliche Tendenz, und das galt auch für sie selbst, ein C wirklich nur den C-Studenten zu geben, von denen es weißgott, genug gab.
Janet Harrison hatte am College alle Scheine gemacht, die sie brauchte; ihr Hauptfach war Geschichte, als Nebenfach hatte sie Ökonomie belegt. Wieso hatte sie sich dann entschieden, an der Graduate School Englische Literatur zu studieren? Gut, die Gebiete hatten im weiteren Sinne schon miteinander zu tun. Am College hatte sie sich um verschiedene Darlehen beworben und sie auch bekommen, und sie hatte auch um ein
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