Gefährliche Praxis
Universitätsstipendium nachgesucht. Einzelheiten dieses Antrages waren in den entsprechenden Büros zu erfahren.
Fluchend ging Kate dorthin. Janet hatte das Stipendium wahrscheinlich erhalten, aber es war doch interessant, es genau zu wissen. Am College hatte sie fast nur A-Zensuren bekommen, obwohl dieses sicher in der Nähe ihrer Heimatstadt gelegene College (Kate kam ein wenig ins Schwimmen, wenn es um die Geographie des Mittelwestens ging) wahrscheinlich zu klein gewesen war, um etwas anderes als den normalen Bachelor-Abschluß zu bieten. Doch wieso war ein Mädchen, das auf seinem, wenn auch kleinen College lauter A’s bekommen hatte, an der Graduate School auf die B-Minus-Ebene abgerutscht? Normalerweise ging es umgekehrt. Vielleicht hatte sie andere Gedanken im Kopf gehabt. Tatsächlich schienen alle von der Idee auszugehen – das fiel Kate jetzt auf – , daß Janet Harrison mit etwas beschäftigt war. Aber was? Was?
Die Stipendienanträge waren sogar noch ausführlicher als die Aufnahmeformulare für die Universität. Wo, wollten sie zum Beispiel wissen, hatte sie ihr Leben verbracht, Jahr für Jahr? (Keine Lücken lassen! forderte das Formular streng.) Nach dem College hatte Janet Harrison die Schwesternschule an der Universität von Michigan besucht. Schwesternschule! Das war nun wirklich sonderbar. Geschichte, Schwesternschule, Englische Literatur. Gut, junge Amerikanerinnen sahen sich, falls sie nicht früh heirateten, schon hier und da nach einem möglichen Beruf um. Aber diese Art zeichnete sich doch durch eine etwas reichliche Bandbreite aus. Vielleicht waren ihre Eltern von der altmodischen Sorte gewesen, die ein Mädchen zwar auf ein College schickten, aber zugleich darauf bestanden, daß sie lernte, sich ihren Lebensunterhalt selber zu verdienen. Für solche Leute gab es nach Kates Erfahrungen nur drei Berufe, die einem Mädchen den Lebensunterhalt sichern: Sekretärin, Krankenschwester oder Lehrerin.
Doch Janet Harrison war nicht bei ihrer Schwesternausbildung geblieben. Ihr Vater war ein Jahr, nachdem sie damit angefangen hatte, gestorben, und sie war nach Hause zurückgekehrt, um wieder bei ihrer Mutter zu leben. Offensichtlich war sie erst nach dem Tod der Mutter nach New York gegangen, um nun Englische Literatur zu studieren. Aber warum nach New York? Das verdammte Formular produzierte mehr Fragen als Antworten. Dem Einkommensnachweis zufolge, der angeheftet war, hatte Janet nach dem Tod der Mutter einige Einkünfte gehabt, aber nicht genug, um damit die hohen Gebühren für die Universität zahlen zu können; es sei denn, sie hätte nebenbei noch einen Job angenommen. Aber die Universität zog es vor, in diesem Fall den Studenten ein Darlehen zu geben, statt daß sie einer Arbeit nachgingen und damit ihr Studium belasteten. Nach den Unterlagen hatte Janet ihr Stipendium bekommen, allerdings kein sehr großes.
Kate ging wieder zurück zu ihrem Büro, den Kopf voller Fragen. Hatte Janet Harrison ein Testament hinterlassen, und wenn ja – oder wenn nicht –, wer bekam jetzt ihr Geld? War es genug, um sie deswegen zu ermorden? Das mußte Reed für sie herausbekommen. Vielleicht war die Polizei, an die Kate bedauerlicherweise viel zu wenig dachte, dem bereits nachgegangen, jedenfalls lag das nahe. Warum war Janet Harrison nach New York gegangen? Die University of Michigan hatte eine hervorragende Graduate School. Nun gut, vielleicht wollte sie weg von zu Hause, aber mußte es gleich so weit sein? Warum hatte sie sich zu so einem ganz anderen Studium entschlossen? Warum hatte sie eigentlich nie geheiratet? Jackie Miller, zum Teufel mit ihrer dämlichen Geschwätzigkeit, mochte annehmen, daß Janet frigide gewesen sei oder »unfähig, Beziehungen zu anderen einzugehen« (genau diese Formulierung hatte Janet Emanuel gegenüber benutzt); aber sie war ein schönes Mädchen und hatte, das nahm jedenfalls Emanuel an, eine Liebesaffäre gehabt.
Vor ihrem Büro traf Kate auf wartende Studenten, und so stürzte sie sich wieder ins akademische Leben und fühlte sich dabei wie eine Trapezkünstlerin.
Erschöpft kam sie am späten Nachmittag endlich nach Hause und fand dort Jerry, der es sich auf den Eingangsstufen bequem gemacht hatte. Er hatte das Glänzen eines Goldgräbers in den Augen, der fündig geworden ist. Sie entschädigte ihn für sein Warten mit einem Bier.
»Ich war heute morgen bei meiner Firma«, sagte er, »und ich konnte dich nicht erreichen, nachdem ich mich dort vorübergehend
Weitere Kostenlose Bücher