Gefährliche Praxis
Studenten sehr beliebt waren, und zu viele Wissenschaftler, die brillant, aber ein bißchen langweilig waren und so Ziel des Spottes wurden. Für sein College mochte das Urteil eines Studenten noch eine gewisse Berechtigung haben, aber in einem Fall wie diesem mochte Kate nicht das Risiko eingehen, sich auf die Meinung eines Einundzwanzigjährigen zu verlassen, der seinen Mangel an Wissen mit kecken Tönen kompensierte. Angenommen, Jerry kehrte mit einer festen Meinung zurück, so oder so? Hätte das wirklich eine Bedeutung?
Wohl kaum. Aber wo war die Alternative? Kate erinnerte sich lebhaft an ein Streitgespräch, das sie mit Emanuel über die Psychoanalyse als Therapieform geführt hatte. Sie hatte betont, wieviel Zeit und Geld die Analyse erforderte und wie wenig Kontrolle beide – Patient und Analytiker – über den Prozeß der freien Assoziation hatten und so weiter. Emanuel hatte das gar nicht geleugnet. »Es ist ein sehr schwerfälliges Werkzeug, aber es ist das beste, das wir haben.« Dasselbe galt für Jerry. Er war sicher nicht der Geschickteste, aber sie hatte sonst niemanden. Und abgesehen von Jerrys Zeit und ihrem Geld, was hatten sie schon zu verlieren? Vielleicht würde sich Jerry in seiner offenen, jungenhaften Art Messenger sogar weniger zum Feind machen als sie.
»Ich glaube, du kommst besser an ihn heran«, sagte Kate, »wenn du mit ihm über Barrister redest, statt über ihn selbst. Wenn du zu offensichtlich versuchst, ihn mit irgendwelchen Tricks zu einem gefährlichen Eingeständnis zu bewegen, macht er bestimmt zu. So würde ich jedenfalls reagieren. Aber wenn du ihm frei heraus erklärst, daß wir in Schwierigkeiten stecken und seine Hilfe brauchen, dann erfährst du vielleicht etwas, das uns weiterbringt. Wenn er der Mörder ist, dann wird das, was du erfährst, nicht unbedingt nützlich sein, aber darauf sollten wir es ankommen lassen. Offen gesagt, Jerry, falls er raffiniert genug war, diesen Mord zu begehen und die Polizei von seiner Unschuld zu überzeugen, dann wirst du ihn nicht zu fassen bekommen. Andererseits, wenn er so nett ist, wie er allen erscheint, dann kann er uns vielleicht auf eine Art und Weise weiterhelfen, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können. Also, ich will nicht, daß du dort auftrittst wie Hawkshaw, der große Detektiv, aber ich nehme auch nicht an, daß du hier angeblich meine Anweisungen brav zur Kenntnis nimmst und dann doch nur tust, was dir paßt.« Sie sah ihn mit einem durchdringenden Blick an, und Jerry fielen Emanuel und der Park ein. Konnte sie davon etwas wissen? Kate hatte lediglich einen Versuchsballon losgelassen. Sie hatte eine vage Vermutung. »Jerry, falls du diesmal irgend einen faulen Zauber probierst, dann ist Schluß. Dann fährst du wieder deinen Laster, und mit der Prämie ist nichts.«
»Was erzähle ich Messenger denn? Was sage ich ihm, wer ich bin?«
»Vielleicht sollten wir es mit der Wahrheit versuchen. Nicht, daß ich ihr einen eigenen Wert zumessen würde, Gott verzeih mir; aber es hätte unter unseren verschiedenen Methoden den Charme des Neuen. Mußt du noch heim und Koffer packen?«
»Also, die Sache ist die…« Kate folgte seinem Blick in Richtung Flur. Dort stand ein Koffer bescheiden neben dem Tischchen.
»Sehr schön. Dann rufe ich am besten an und frage nach einer Maschine nach Chicago.« Kate griff nach dem Hörer.
»Zwanzig nach elf. Ich schaffe es gerade noch zum Flughafen.«
Kate legte resigniert den Hörer wieder hin und stand auf, um Jerry das notwendige Geld zu holen. Er war schon fast aus der Tür, als ihr auffiel, daß sie ihm gerade erst von Daniel Messenger erzählt hatte. Wie, um alles in der Welt, konnte er wissen…? Sie ging ihm nach und fragte ihn.
»Das ist das Problem bei dir«, sagte Jerry, »du liest keine Zeitung. Die Polizei muß den Reportern immer etwas bieten, und der Inhalt des Testaments von dem ermordeten Mädchen paßte genau. Natürlich wußte ich nichts von dem Foto«, fügte er mit charmanter Bescheidenheit hinzu. »Bis bald.« Er verschwand, zog die Tür leise hinter sich zu und ließ Kate, nicht zum erstenmal, mit einer Empfindung des Mitgefühls für ihre Nichte zurück.
Kate machte sich ihrerseits fertig für die Fahrt zur Universität. Reed würde zweifellos einen Anfall bekommen, wenn er erfuhr, wohin Jerry unterwegs war, aber Rücksichtnahme auf die Gefühle anderer Leute war eine der Fähigkeiten, die Kate durch den neuen Stand der Dinge abhanden gekommen waren.
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