Gefährliche Praxis
zwischen noch-nicht-dreißig und jenseits-der-vierzig. Und vergiß nicht, Messenger hatte Barrister seitdem nicht mehr gesehen, zumindest nehmen wir das an. Er sah auf dem Bild den jungen Mann, mit dem er einmal das Zimmer geteilt hat. Wenn ich dir ein Bild von einem Mädchen zeigte, mit dem du zur High School gegangen bist, würdest du wahrscheinlich sagen: Ach, ja, das ist Sally Jones. Sie hatte immer enge Pullover an und lispelte. Aber wenn ich dir ein Foto von Sally Jones zeigte, wie sie heute aussieht, dann könnte es gut sein, daß du nicht wüßtest, wer das ist.«
»Also gut, spiel du nur weiter den advocatus diaboli. Es bleibt das Faktum, daß Dr. Michael Barrister seine Praxis gleich gegenüber hatte, daß er es war, der das Mädchen für tot erklärt hat – zumindest gegenüber Nicola –, und daß sein Foto die ganze Zeit in der Brieftasche des ermordeten Mädchens steckte.«
»Wo der Mörder es auch gelassen hat.«
»Weil er es übersehen hat – es steckte schließlich in ihrem zusammengefalteten Führerschein.«
»Oder weil er es mit Absicht dort gelassen hat, damit wir genau das denken, was du jetzt denkst.«
»Verdammt, verdammt, verdammt noch mal.«
»Dem kann ich nur voll und ganz zustimmen. Aber eines fällt mir dabei auf. Sparks sagte, das Gesicht käme ihm bekannt vor, falls ich dich richtig verstanden habe. Könnte Sparks gewußt haben, wen das Foto darstellte, und es deswegen dort gelassen haben? Er hört sich an wie ein Mann, der sehr umsichtig zu handeln weiß.«
»Vielleicht sollten wir Messenger ein Foto von Sparks zeigen. Dann stellt sich womöglich heraus, daß die beiden in frohen Kinderzeiten miteinander Baseball gespielt haben. Ich habe nicht daran gedacht, Sparks zu fragen, woher er kommt. Sie könnten schließlich mal im selben Pfadfinder-Lager gewesen sein, als Sparks zu Besuch bei seiner unverheirateten Tante in Messengers Heimatstadt war.«
»Ich kann mir zwar nicht vorstellen, wieso Messenger jeden kennen sollte, der in den Fall verwickelt ist, aber es wäre keine schlechte Idee, ihm Fotos von allen Beteiligten zu zeigen, vorausgesetzt, wir können welche auftreiben.«
»Zumindest entfernen wir uns damit von Emanuel, Reed. Obwohl wir uns«, fügte sie hinzu, als sie an Reeds erste Neuigkeit dachte, »statt dessen entweder auf mich zubewegen oder auf das totale Chaos. Immerhin, wir bewegen uns. Was unternehmen wir als nächstes? Natürlich, wir haben Horan vergessen; vielleicht war der Mord an dem Mädchen Teil einer Werbekampagne. Und die Verbindung zwischen Barrister und Messenger ist purer Zufall. Schließlich ist das Leben voller Zufälle, wie wir von Hardy wissen, auch wenn das niemand zugeben will. Ach, Lieber, ich drehe mich im Kreis. Reed, eine Frage, bevor ich schwindelig werde und einschlafe: Wo war Barrister an dem Morgen, als der Mord geschah? Hat die Polizei das jemals genau festgestellt?«
»Er war in seiner Praxis, und die war voller Patientinnen, einige im Wartezimmer, andere in den Untersuchungsräumen. Seine Sprechstundenhilfe war natürlich auch da. Ich nehme an, wir müssen dem jetzt ein wenig intensiver nachgehen, auch wenn die Polizei gar nicht daran gedacht hat, ihn nach einem Alibi zu fragen. Das bedeutet, daß er wirklich keine Minute lang woanders gewesen ist. Mir wird langsam selber ein bißchen schwindelig.«
»Gut, morgen früh berichtet mir Jerry von Horan. Und von der Sprechstundenhilfe. Vielleicht hat Jerry…«
»Oh, ja, wir müssen noch über Jerry reden. Kate, ich möchte, daß du mir versprichst…«
»Das nützt nichts, Reed, ich würde mich morgen nicht mehr erinnern, was ich heute versprochen habe. Und morgen ist ›Daniel Deronda‹ dran. Gar nicht zu reden von meinen anderen Seminaren. Ich hoffe, dieser Brief geht nicht an die Zeitungen.«
»Ich glaube, das kann ich dir versprechen.«
»Was meinst du, wer hat ihn geschickt?« Aber Reed war schon an der Tür. Sie winkte ihm schläfrig nach, schenkte den Überresten ihrer Kaffeerunde keine Beachtung mehr und ließ ihre Kleider fallen, wo sie gerade stand. Sie wußte ganz genau, sie würde nicht schlafen können, solange ihr dieser Messenger und Barrister, Emanuel, Sparks und Horan derart im Kopf herumwirbelten und war immer noch überzeugt davon, als Jerry (sie hatte vergessen, den Wecker zu stellen) sie am Morgen weckte.
13
»W as für ein Glück, daß du mir einen Schlüssel gegeben hast«, sagte Jerry. »Sonst hätte ich womöglich immer wieder geläutet, wäre dann
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