Gefaehrliche Verlockung (Gesamtausgabe)
Ich laufe schon wieder rot an, dabei lüge ich gar nicht. Es ist nur nicht unbedingt notwendig ihm zu erzählen, dass ich ziemlich unrühmlich beim Gemeindeblatt der St Martin in the Fields-Gemeinde arbeite. „Und du?“
„Ich bin selbstständig“, antwortet er schlicht, als würde das alles erklären. Na warte. Immerhin habe ich eins gelernt während des Studiums, und das ist Recherche. Wenn ich ihn auch jahrelang erfolgreich aus meinem Gehirn verdrängt habe – sobald ich zu Hause bin werde ich nachsehen, was er treibt. Ob er verheiratet ist, zum Beispiel. Er ist immerhin auch schon achtundzwanzig, aber ich kann keinen Ring an seinem Finger erkennen. Dafür entdecke ich eine seltsame Tätowierung um sein Handgelenk, die aus zwei Ornamenten besteht, die sich um sein Gelenk schlängeln, und eine Narbe zu verdecken scheint.
Als hätte er meinen Blick bemerkt, zieht er den Ärmel seines Jacketts weiter runter.
„Das freut mich für dich. Du warst schon immer ... so selbstständig.“ Himmelherrgott, was rede ich bloß für einen Unsinn? Eigentlich bin ich ganz eloquent, aber in seiner Gegenwart fühle ich mich plötzlich wieder wie das hässliche, kleine Mädchen von damals.
Unruhig rutsche ich auf dem Barhocker herum und leere den Champagner, bis ich einen kleinen Schluckauf bekomme.
„Was hat dich hierher getrieben?“, fragt er und mustert mich interessiert. Will er das wirklich wissen, oder ist er nur höflich? Eigentlich sieht er so aus als müsste er schwer beschäftigt sein, so als Selbstständiger. Aber vielleicht hat er schon eine ganze Menge Angestellter, die für ihn die Arbeit erledigen, was weiß ich?
„Ich wollte etwas ersteigern, aber leider hat es nicht geklappt.“
Plötzlich streckt er den Arm aus und greift nach meiner Hand. Die kurze Berührung durchzuckt mich jäh, wie ein elektrischer Schlag. Verflucht, ich glaube es ist das erste Mal, das wir uns berührt haben. Dass er mich berührt hat jedenfalls, wenn ich die vielen Versuche, mich im Vorbeigehen irgendwie an ihn zu pressen, nicht mitzähle.
„Das tut mir sehr leid. Manchmal hat das Schicksal andere Pläne mit uns.“
Irritiert sehe ich ihm in die Augen und bereue das sofort. Mir wird etwas mulmig zumute, denn sein Blick ist noch immer so kühl, so herablassend und unverschämt wie früher. War es nicht genau das, was mich an ihm so interessiert hat? Der Bad Boy der Schule, attraktiv, aber gefährlich und unberechenbar. Wir alle träumten davon, ihn zu zähmen, ihn dazu zu bringen, nur uns zu lieben, mussten aber einsehen, dass ein wilder Tiger wie Jason Hall nicht zähmbar war. Stattdessen fand sich das eine oder andere Mädchenherz als Kerbe in seinem Bettgestell wieder. Nur eine Nummer.
Ich bin heute auch nur eine Nummer, die 27. Vielleicht sogar für ihn? Zutrauen würde ich es ihm ohne Zweifel.
„Ich glaube, ich muss jetzt los“, sage ich und stehe umständlich von dem ungemütlichen Hocker auf. Die Auktion muss vorbei sein, denn langsam füllt sich der Vorraum mit plappernden, glücklichen Menschen, die sich gegenseitig von ihren Erfolgen berichten und den jungen Mann um Getränke bedrängen.
„Darf ich dich nach Hause bringen? Camden ist ja ein ganzes Stück von hier.“
Oh Gott, bitte. Jason Hall bietet mir an, mich nach Hause zu begleiten? Gütiger Himmel, ich werde zu Hause neue Unterwäsche brauchen, schon der Gedanke an eine Autofahrt mit ihm lässt in mir alles zusammenfließen. Vor zehn Jahren wäre ich vermutlich ohnmächtig geworden vor Glück, heute bin ich eher ... besorgt.
„Wenn es dir keine Umstände macht?“
„Nein, gar nicht. Es liegt quasi auf dem Weg.“
Ich frage gar nicht nach, wo er wohnt. Vermutlich ist er wahnsinnig erfolgreich und hat ein Penthouse in Mayfair. Oder gar ein ganzes Haus in South Kensington.
„Dann würde ich mich über einen Lift sehr freuen. Die U-Bahn ist um diese Zeit ja wirklich kein Genuss.“
Ich muss lächeln, als sich sein linker Mundwinkel schmunzelnd nach oben verzieht. Er amüsiert sich über mich, aber was habe ich auch von ihm erwartet? Statt sauer auf ihn zu sein, bin ich stolz auf mich. Stolz darauf, dass ich heute so tun kann, als wäre er mir egal. Es war peinlich genug, was damals passiert ist, und noch habe ich Hoffnung, dass er es längst vergessen hat. Ich meine, ich war ja nie mehr als eine imaginäre Kerbe in seinem Bettpfosten ...
Mit eleganten, ausladenden Schritten geht er voran und hält mir höflich die Tür auf. Seit wann ist Jason
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