Gefaehrliche Verlockung (Gesamtausgabe)
sie das alles hier gar nicht.
„Einhundertsiebzig Pfund sind geboten. Einhundertsiebzig Pfund zum ... einhundertachtzig Pfund für den Herrn mit der Nummer 123. Einhundertachtzig Pfund zum ... einhundertneunzig Pfund für die junge Dame. Einhundertneunzig Pfund ... zweihundert Pfund ...“
Ich höre gar nicht mehr hin. Ich bin im Rausch. Mein Gesicht fühlt sich an wie ein Schnellkochtopf kurz vor der Explosion, und ich kriege kaum noch mit, welche Zahlen der Mann vorne nennt. Ich drehe mich auch nicht um, um zu sehen, wer außer mir noch alles mitbietet. Irgendein Mann und noch eine Frau mit der Nummer 48, aber es ist auch egal. Keiner von beiden soll dieses Halsband haben. Niemand! Als ich mein Schild wieder hochhebe und der grauhaarige Mann vorn den sagenhaften Preis von dreihundertfünfzig Pfund nennt, bin ich kurz vor einer Ohnmacht.
„Oh Gott, bitte“, sage ich, lauter als gedacht, und die zehn Menschen in der ersten Reihe drehen sich schmunzelnd zu mir um. Es gehörte meiner Granny! Und es ist doch nicht mehr wert als fünfzig Pfund? Warum zum Teufel will das jemand haben? Es ist meins!
„Dreihundertsechzig Pfund zum ersten ...“ Ich schwenke wild mein Schild und überlege fieberhaft, ob mir die nette Dame neben mir wohl fünfzig Pfund leihen wird, wenn ich sie darum bitte. Vielleicht kann ich auch mit meiner Waitrose-Kundenkarte bezahlen? Ich kümmere mich gar nicht mehr darum, dass ich nicht genug Geld dabeihabe, sondern biete wie im Fieber weiter. Bis ich Minuten später die Zahl fünfhundertirgendwas höre. Ich schnappe nach Luft und lasse das Schild auf meinen Schoß fallen. Meine Augen brennen vor Wut. Das darf doch wohl nicht wahr sein!
„Tut mir leid“, flüstert die Dame neben mir und beugt sich zu mir. Ich rieche ihren Atem, sie duftet nach Tee und Toffeebonbons – wie Granny! Unkontrolliert schießen Tränen in meine Augen und rollen warm über meine Wangen, als ich wie durch Watte höre, dass der Auktionator den Mann mit der Nummer 123 beglückwünscht.
„Das war wohl ein besonderes Schmuckstück?“ Die ältere Dame scheint gierig auf rührselige, romantische Geschichten zu sein und mustert mich neugierig und besorgt zugleich.
„Ja, es gehörte meiner Granny“, sage ich und ziehe geräuschvoll meine Nase hoch. Alles war umsonst. Das geliehene Geld, das schicke Kostüm, sogar die blöden, hochhackigen Schuhe hätte ich nicht anziehen müssen.
Wie in Trance stehe ich auf, während der Auktionator das Stück mit der Nummer 164 zur Auktion aufruft, und quetsche mich ohne Entschuldigung durch die Reihe der Menschen, die neben mir sitzen und mich missbilligend mustern. Ist mir doch egal.
Ich wische mit dem Handrücken die Tränen von der Wange und gehe an den Reihen vorbei nach hinten, ohne mir die Mühe zu machen, auch nur einen von den Anwesenden anzusehen. Gütiger Himmel, ich habe es vergeigt! Ich habe die einzige Chance, ein Andenken an Granny zu bekommen, versemmelt! Dabei war es mir wie ein Wink des Schicksals vorgekommen, als ich es in der Auslage entdeckte. Ich bin so wütend auf mich und den Unbekannten, dass ich vor dem Ausgang an der kleinen Bar stehen bleibe und mir ein Glas Champagner bestelle. Whisky wäre jetzt passender, wird aber nicht angeboten.
Zwanzig Pfund! Aber das brauche ich jetzt, immerhin habe ich Geld gespart – das ist das einzig Positive im Moment – und kann es mir leisten.
Der junge Mann hinter der Bar zwinkert mir zu. Will der mit mir flirten? Um Gottes willen!
„Pech gehabt heute?“, fragt er, während er den Taittinger in eine elegante Champagnerflöte rinnen lässt.
„Hmm“, knurre ich nur und werfe einen Geldschein, den ich aus meinem Bündel gezerrt habe, vor ihn hin, dann nehme ich das Glas und leere es in einem Zug.
„Durst oder so großer Ärger?“
Irritiert drehe ich mich zu der männlichen Stimme um, die hinter mir ertönt, und erstarre zu Eis.
2
„Ja ... Jason?“ Ich fahre mir hastig durch die Haare und spüre, wie meine Wangen heiß werden. Oh mein Gott! Ich bin in einem Auktionshaus in London – nein, es heißt nicht Sotheby‘s – und treffe ... Jason Hall! Es ist einfach unglaublich!
„Wusste ich doch, dass ich dich erkannt habe, Emma. Wie geht es dir?“
Er beugt sich vor und haucht einen Kuss auf meine Wange, der mich noch weiter erröten lässt. Er riecht gut, nach Aftershave und nach Mann. Was zum Teufel tut er hier?
„Gut, danke. Lange her ...“
Er bleibt auf Armeslänge vor mir stehen und mustert
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