Gefaehrliche Verlockung (Gesamtausgabe)
mich mit zur Seite gelegtem Kopf. Gütiger Gott, er sieht noch genauso gut aus wie früher. Nein, noch viel besser! Offenbar trainiert er jetzt, jedenfalls sind seine Schultern breiter geworden. Vielleicht liegt das auch an dem eleganten, schwarzen Anzug, den er trägt? Wann habe ich jemals einen Mann in schwarzem Anzug, weißem Hemd und Weste gesehen?
Seine Augen sind noch immer so blau wie damals, seine Wimpern dicht und schwarz wie seine Haare. Und auch das Grübchen in seiner Wange ist noch da, wo es früher war ...
Mein Herz klopft viel zu heftig gegen meinen Brustkorb, und ich muss schlucken.
„Beinahe zehn Jahre, denke ich?“ Er legt kurz die Stirn in Falten und lächelt dann wieder. „Darf ich dich einladen? Auf ein weiteres Glas Champagner? Es sah aus, als hättest du großen Durst.“
Ich fahre mir mit der Zunge über die Lippen und nicke gleichzeitig.
„Klar, warum nicht ...“, sage ich so locker wie möglich, als würde ich jeden Tag Champagner in einem Auktionshaus trinken. Im Gegensatz zu mir sieht er allerdings so aus, als täte er das tatsächlich.
„Du hast dich verändert, Emma.“ Er wendet sich mir wieder zu, nachdem er seine Bestellung aufgegeben hat. Der Junge hinter der Bar kneift die schmalen Lippen zusammen und gönnt mir keinen weiteren Blick.
„Ja, du dich auch.“ Stimmt gar nicht. Du siehst immer noch so gut aus wie damals, während ich ...
„Die Pickel sind weg.“ Er grinst und sieht plötzlich wieder aus wie damals, mit achtzehn. Nervös lachend fahre ich mit der Hand über mein Gesicht.
„Ja, zum Glück. Und ich habe ... ein paar Pfund zugelegt.“
Großer Gott, mein Gesicht glüht wie eine Ofenplatte. Ich bin es nicht gewohnt, zu flirten, ich hasse das. Genauso, wie ich Smalltalk hasse. Mir fällt einfach nie ein Thema ein, über das ich mit jemandem sprechen könnte. Schon gar nicht mit jemandem, der mich nie beachtet hat und von dem ich mich gerade frage, wie um alles in der Welt er mich überhaupt erkannt hat?
„Die Kurven stehen dir gut.“ Sein Blick gleitet über meinen Körper und lässt mich schwindeln. Träume ich das eigentlich gerade? Oder hat mir der Junge was in den Champagner getan? Wahrscheinlich ist Jason Hall gar nicht hier und nur ein Produkt meiner überbordenden Fantasie?
Und dann trifft mich die Wucht der Erinnerung wie ein Faustschlag. Ich schnappe nach Luft, bevor mir überhaupt bewusst wird, warum, und starre ihn an. Jason Hall! Meine erste große Liebe. Der Mann, der sich ständig über mich lustig gemacht hat. Der Mann, der mir die größten Komplexe meines Lebens beschert und damit die gesamte Pubertät versaut hat. Jason Hall, der keine Rücksicht auf Gefühle nahm und über Mädchenseelen hinweg trampelte wie ein Pferd.
Oh. Mein. Gott. Ich muss mich setzen und treffe nur mit größter Konzentration den Rand des schwarzen Lederhockers vor der Bar. Mein Herz fühlt sich an, als wollte es aus meiner Brust flattern.
„Emma, ich weiß, was du gerade denkst. Aber auch ich habe mich verändert.“
Klar. Du bist noch attraktiver geworden und vermutlich heute auch noch steinreich, so dass du noch einfacher Frauenherzen in deine Sammlung reihen kannst.
Ich sollte weglaufen. Ich sollte meine Beine in die Hand nehmen und zurück nach Camden rennen, zu Fuß, ohne mich noch mal umzudrehen. Aber ich kann nicht. Der Schock über sein Auftauchen überwiegt sogar meinen Kummer wegen des nicht gewonnenen Halsbandes. Grannys blaue Augen verschwimmen mit seinen, die meinen Blick gefesselt halten wie Magneten.
„Was machst du? Wohin hat dich das Leben geführt?“
„Nach Camden.“ Ich nehme einen tiefen Schluck von dem prickelnden Champagner, der mir umgehend zu Kopf steigt und mich angenehm beschwingt. Wovor habe ich Angst? Ich bin nicht mehr die kleine Emma, die sich jahrelang hoffnungslosen Schwärmereien hingegeben hat, die am Ende so brutal vernichtet wurden wie ein schönes Haus von einer Abrissbirne.
Er lacht. Das Grübchen in seiner glatt rasierten Wange wird tiefer, ich weiß gar nicht, wo ich hinsehen soll. Ganz plötzlich sind die alten Gefühle wieder da, die seit zehn Jahren tief verschüttet in mir geruht haben. Ich habe mich wirklich bemüht, darüber wegzukommen, aber es hat verdammt lange gedauert. Ihn jetzt so plötzlich wiederzusehen ist, als hätte jemand meine alten Narben mit den Fingernägeln wieder aufgekratzt. Ich kann förmlich spüren, wie sie bluten.
„Was machst du beruflich?“
„Ich bin Journalistin.“
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