Gefaehrliche Versuchung
die Suite, bis hinein ins Schlafzimmer, wo sie ihr beim Ausziehen halfen. Bei Bea saß jeder Handgriff, als sie ihrer Freundin Kate half, sich bettfertig zu machen. Sie kommunizierte mit ihrer Mimik und nicht mit Worten. Bivens, Kates Zofe, sah ihre blasse Herrin nur kurz an und verschwand dann in die Küche, um einen von Beas Kräutertees zu kochen. Grace blieb zurück und war überrascht. Kate hatte immer streng darauf geachtet, dass Bivens die einzige Person war, die Zutritt zu ihrem Schlafzimmer hatte.
Als Grace dabei half, Kate zu entkleiden, wurde ihr bewusst, warum Kate so vehement darauf bestanden hatte. Sie zogen Kate gerade den Reifrock aus, als Bea Grace einen warnenden Blick zuwarf. Grace hob fragend eine Augenbraue. Dann wandte sie sich wieder zu Kate um und sah, was Bea gemeint hatte.
Grace hatte im Laufe der Jahre, in denen sie mit ihrem Vater beim Militär gewesen war, genug Gewalttätigkeiten gesehen. Ein beträchtlicher Teil der Gewalt hatte sich gegen Frauen gerichtet. Aber als sie half, Kate das Unterkleid auszuziehen, wurden Narben sichtbar, die so fürchterlich waren, dass Grace beinahe aufgeschrien hätte. Wie hatte jemand Kate das antun können?
Natürlich schwieg sie. Sie half Kate in ein zitronengelbes Nachthemd und wartete geduldig, bis Bea Kates dichtes mahagonifarbenes Haar gebürstet hatte, ehe sie dabei half, ihre Freundin in das ordentliche große Bett zu stecken und zuzudecken. Bivens flößte Kate den Kräutertee ein und legte ihr dann einen nassen Lappen auf die Stirn.
Bei jeder anderen Frau hätte Grace die Vorhänge geschlossen, um es im Zimmer angenehm zu verdunkeln. Doch in Kates Haus war es ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Vorhänge niemals zugezogen und die Kerzen niemals gelöscht wurden. Kate behauptete immer, dass Licht für sie heilsamer wäre als alles Laudanum der ganzen Stadt. Zum ersten Mal fragte Grace sich, ob das der einzige Grund war.
»Endlich«, sagte Kate mit beängstigend schwacher Stimme unter dem duftenden Lappen hervor. »Jetzt spiele ich tatsächlich noch die Rolle einer Dame. Soll ich euch mit meinen Beschwerden unterhalten und den Leibarzt des Regenten kommen lassen, der mich untersucht?«
Grace, die das Zimmer aufräumte, lächelte. »Das ist schon viel besser«, sagte sie entschieden. »Einen Moment lang habe ich mir ernsthafte Sorgen um dich gemacht. Schläfst du jetzt?«
»Da die Sonne aufgegangen ist …«, entgegnete Kate. »Ansonsten hätte ich dich gebeten, dich neben mein Bett zu setzen und mir belehrende religiöse Abhandlungen vorzulesen.«
Bea schnaubte. »Ketzerisch.«
»Durchaus nicht«, murmelte Kate. »Ich bin jetzt wieder eine verheiratete Frau und muss mir in Erinnerung rufen, wo mein Platz ist.«
»Du bist mit Harry verheiratet«, erwiderte Grace. »Dein Platz ist dort, wo du willst.«
Kate hob eine Ecke des Waschlappens auf ihrer Stirn an und warf Grace einen Blick zu. »Welch leidenschaftliche Verteidigung.«
Grace errötete. »Ich kenne Harry, seit ich zehn Jahre alt bin. Er ist wie ein Bruder für mich.«
Kate ließ den Lappen wieder sinken. »Ich kenne ihn schon fast genauso lange, und für mich ist er das nicht.«
»Dann ist es gut, dass du diejenige bist, die ihn geheiratet hat, und nicht ich.«
Kate lächelte schwach. »Ich glaube nicht, dass ich damit stillschweigend angedeutet habe, dass ich so von ihm denke.«
»Er ist ein guter Mensch«, protestierte Grace und konnte ihre Abwehrhaltung nicht verhehlen.
»Und das muss er sein«, entgegnete Kate, »wenn er sich deine Treue verdient hat.«
Grace war versucht nachzufragen, was Harry getan hatte, um Kates Loyalität zu verwirken. Sie wusste, wie unerschütterlich diese Treue eigentlich war. Da sie viel Zeit mit Kate verbracht hatte, wusste sie auch, dass Kate nicht nur durch Boshaftigkeit dazu verleitet worden war, sich in Harrys Verlobungen einzumischen. Es musste also einen fürchterlichen Streit zwischen den beiden gegeben haben.
Es war, als hätte Kate ihre Gedanken erraten. »Das Zerwürfnis zwischen uns gibt es schon sehr lange«, sagte sie. »Sicherlich war es kindisch. Immerhin war ich erst fünfzehn Jahre alt.« Sie lächelte. Es war ein blasser Schatten des berüchtigten Lächelns von Kate Seaton. »Ich habe Rache genommen. Dabei habe ich mich selbst übertroffen.«
Grace sah zu Bea, die mit den Schultern zuckte. »Wie genau hast du dich übertroffen?«
Kate erwiderte: »Ich habe ein wohlüberlegtes Wort in das richtige Ohr geflüstert und damit
Weitere Kostenlose Bücher