Gefaehrliche Versuchung
erzählte. Es war ihm egal. Drake musste begreifen, wie dringlich die Situation war.
»Es werden gerade ein paar sehr vernünftige Anstalten gebaut«, erinnerte Drake ihn.
Harry lachte. »Und du hältst den Duke of Livingston für einen wohltätigen, fortschrittlich denkenden Menschen.«
»Nein, eigentlich nicht. Ich fürchte allerdings, dass die Regierung nicht in der Position ist, um sich in Privatangelegenheiten einzumischen. Zuerst einmal würde es die Rakes verraten. Wenn wir im Auftrag der Regierung herbeistürmen, können wir wohl kaum länger anonym bleiben. Und außerdem ist der Duke – ob du ihn nun magst oder nicht – ein sehr einflussreicher Mann.«
Harry blieb vor einem Globus stehen. »Was können wir dann tun?«
Ohne den Blick von Harry abzuwenden, nahm Marcus einen Schluck von seinem Whisky. »Wenn ich so darüber nachdenke, wie du bisher immer von ihr gesprochen hast, kommst du mir außergewöhnlich besorgt vor.«
»Sie hat mir die Verantwortung für Lady Bea Seaton übertragen. Willst du dich um sie kümmern?«
»Himmel, bloß nicht. Ich kann kein Wort von dem verstehen, was diese Frau sagt.«
»Wenn sie schluchzt, ist sie noch schwieriger zu verstehen.«
Drake betrachtete nachdenklich seinen Drink. »Kate hat wirklich nicht für dieses Gemälde Modell gesessen?«
»Nein. Ich kann es beweisen, was ich allerdings nur tun werde, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt.«
»Glaubst du, die Löwen haben das Bild in Auftrag gegeben?«
Harry stieß den Globus an und sah zu, wie er sich drehte. »Wer weiß? Ich kann mir gut vorstellen, dass es jemand aus der Familie war, um auf diese Weise eine Entscheidung zu erzwingen. Vor allem wenn der Duke, wie sie sagt, schon immer ihren Landsitz haben wollte. Doch es wäre genauso wirkungsvoll und nützlich für die Löwen, wenn sie sie aus dem Weg räumen wollten, ohne selbst in Erscheinung zu treten.« Er beobachtete, wie die Länder vor ihm vorbeirasten, während sich der Globus drehte. »Ich glaube nicht, dass es darum geht, dass sie etwas hat, was sie wollen, Marcus. Ich glaube, es geht eher darum, dass sie etwas weiß, von dem die Löwen nicht wollen, dass sie es weitererzählt.«
Marcus blickte auf. »Was denn?«
Harry schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, und auch sie hat keine Ahnung. Ich weiß allerdings, dass es keine Rolle mehr spielen wird, wenn wir sie nicht bald zurückholen.«
»Kate ist ein ziemlich starkes Mädchen.«
Harry sah zu, wie der Globus sich drehte. »Da bin ich mir nicht so sicher.«
Er hatte die Wahrheit begriffen, als er das Brandmal gesehen hatte. Aus dem Verdacht war fürchterliche Sicherheit geworden, als er in ihrem Boudoir vor dem bodenlangen Standspiegel gestanden hatte. Er war genau so gewesen, wie sie stolz behauptet hatte: lang und breit genug, um darin ihren gesamten Körper zu sehen, wann immer sie an dem Spiegel vorbeiging. Die perfekte Möglichkeit, ihre eigene Schönheit zu genießen und damit anzugeben. Nur hatte sie in all der Zeit, die sie in dem Zimmer gewesen waren, nicht ein Mal in diesen Spiegel geschaut. Tatsächlich hatte es eher so gewirkt, als hätte sie ihn absichtlich gemieden. Sie hatte den Spiegel vielleicht gekauft, um damit zu empören, aber sie konnte es nicht ertragen, sich selbst darin zu betrachten.
Als Kate in dem Zimmer umhergelaufen war, hatte Harry begriffen, dass der Spiegel eine Illusion war. Genau genommen war ihr gesamtes Leben eine Illusion. Er hatte gesehen, wie sie reagiert hatte, als er das Brandmal auf ihrer Brust erblickt hatte. Sie hatte sich geschämt, hatte sich gedemütigt gefühlt. Wenn sie nicht gewollt hatte, dass Harry die Male sah, wenn sie die Narben nicht einmal selbst versehentlich sehen wollte, wie, um alles in der Welt, sollte sie dann jedem zweiten Kerl in Britannien unbekümmert ihre Brüste gezeigt haben?
Und falls sie es getan hatte, wieso wurde dann nicht längst darüber geklatscht? Es gab keinen Menschen auf Erden, der nicht monatelang von diesem Leckerbissen gezehrt hätte. Ekelhaft, wissen Sie? Direkt über diesen herrlichen Brustwarzen, wo es nicht zu übersehen ist. Barbarisch. Mir hat sich der Magen umgedreht.
Kein Mann hatte diese Male je gesehen. Kein Mann hatte Kate berührt. Kate hatte absichtlich das Märchen in die Welt gesetzt, dass sie die leichtfertigste Frau von ganz London wäre. Doch Harry vermutete, dass sie in Wahrheit vermutlich die keuscheste, tugendhafteste Frau von allen war.
Einmal, mitten in der Schlacht von
Weitere Kostenlose Bücher