Gefährlicher Fremder - Rice, L: Gefährlicher Fremder
grüner Fiat. Er steht gleich rechts um die Ecke. Aber hören Sie mal, Sie sind doch gar nicht richtig angezogen für dies…«
Aber die letzten Worte sprach sie schon in die Luft.
2
Entweder bin ich ein Riesenglückspilz oder ein Riesentrottel , dachte Caroline, während sie zitternd in ihrem Mantel dastand. Nachdem sie der wirbelnden Eishölle da draußen nur dreißig Sekunden ausgesetzt gewesen war, fühlte sie sich, als hätte sie den ganzen Winter lang in der Antarktis gezeltet. Sie war völlig durchgefroren.
Glückspilz oder Trottel? Was war sie nun?
Sie plädierte für den Glückspilz, denn sie brauchte die fünfhundert Dollar wirklich dringend, und sie waren ihr praktisch aus heiterem Himmel in den Schoß gefallen, noch dazu an einem Tag, an dem sie nie im Leben auf einen neuen Untermieter zu hoffen gewagt hätte. Um Tobys Krankenhausrechnungen zu bezahlen, hatte sie eine beträchtliche Hypothek auf Greenbriars aufnehmen müssen, und das Geld ihrer Untermieter war unbedingt erforderlich. Ohne die fünfhundert Dollar Miete war sie keinesfalls in der Lage, Mitte Januar die nächste fällige Rate zu bezahlen.
Es hatte ihr fast das Herz gebrochen, als das ältere Paar, Mr und Mrs Kipping, vor vier Tagen beim Frühstück verkündet hatte: Es tut uns schrecklich leid, meine Liebe, aber wir ziehen aus. Sie hatten eigentlich bis Mai bleiben sollen, wenn die Renovierung ihres Hauses abgeschlossen sein würde. Aber erst hatte Mr Kipping wegen eines Kurzschlusses irgendwo im Haus einige Kapitel seiner Biografie über Alexander Hamilton verloren, und dann war schließlich die Krönung gewesen, dass Mrs Kipping sich eine Bronchitis zugezogen hatte, weil der Heizkessel immer wieder versagte.
Es war nicht ein Cent übrig, um einen Elektriker zu bezahlen, damit er die Leitungen kontrollierte und den Grund für den Kurzschluss herausfand, und Caroline wäre vermutlich eher imstande, zum Mond zu fliegen, als sich einen neuen Heizkessel zu leisten.
Ihre Schulden würde sie noch mit achtzig abbezahlen. Wenn sie so lange lebte. Bis jetzt waren die Zahlen, was die durchschnittliche Lebenserwartung ihrer Familie anging, nicht allzu ermutigend.
Mrs Kipping war bei dem Gedanken, ausziehen zu müssen, den Tränen nah gewesen, und Caroline hatte ihre ganze Selbstbeherrschung aufbringen müssen, um nicht selbst in Tränen auszubrechen. Die Kippings waren ein liebenswertes Paar und hatten fast ein Jahr lang bei ihr gelebt. Sie waren wunderbare Mitbewohner und waren ihr in Tobys letzten Tagen eine große Stütze gewesen. Caroline wusste, sie hätte es nicht ertragen, aus dem Krankenhaus in ein leeres Haus zurückzukehren. Und nach Tobys Beerdigung … Sie erschauerte.
Am Anfang hatten die Kippings häufig betont, dass aus ihrem Haus auch nach der Renovierung niemals etwas so Schönes wie Greenbriars werden könnte. Das war noch vor den verlorenen Dateien, den andauernden kalten Duschen und bevor sie nach dem morgendlichen Erwachen Eis im Waschbecken vorfanden. Caroline wusste, dass Mr und Mrs Kipping sie ins Herz geschlossen hatten und ihre Kochkünste liebten und dass es einzig und allein Mrs Kippings Krankheit war, die ihnen diese Entscheidung aufgezwungen hatte. Anna Kipping war nicht bei bester Gesundheit und ihr Mann Marcus fürchtete, sie zu verlieren.
Trotzdem hatte auch er beim Abschied Tränen in den Augen.
An Heiligabend, und noch dazu bei diesem Wetter, einen neuen Untermieter zu finden schien das reinste Wunder zu sein.
Von dem zusätzlichen Bonus – am ersten Weihnachtstag nicht allein sein zu müssen – gar nicht zu reden. An diesem Tag hatte sie ihre Eltern bei einem grauenhaften Autounfall verloren. An diesem Tag war Toby so schwer verletzt worden, dass er nie wieder hatte gehen können. Er hatte sechs schmerzerfüllte Jahre gebraucht, um zu sterben.
So weit die Glückspilztheorie.
Auf der anderen Seite stand natürlich die Trotteltheorie, die sich höchstwahrscheinlich als die richtige entpuppen würde. Vermutlich war sie tatsächlich verrückt, einen Mann in ihrem Heim aufzunehmen, der so gefährlich aussah wie Jack Prescott, und als ob das noch nicht genug wäre, hatte sie ihm, eine halbe Stunde nachdem sie ihn kennengelernt hatte, auch noch ihre Autoschlüssel überreicht.
Marcus und Anna Kipping waren die ungefährlichsten Personen auf der ganzen Welt gewesen; zwei reizende Menschen in den späten Sechzigern, deren schlimmste Laster aus einer Vorliebe für Schokoladeneis mit Karamellsoße und
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