Gefährlicher Fremder - Rice, L: Gefährlicher Fremder
Rücken, sparsame Bewegungen. Und wie er sie die ganze Zeit über Ma’am genannt hatte. Das war wirklich süß, aber nicht gerade die bevorzugte Anrede eines Mannes, der sich im einundzwanzigsten Jahrhundert mit einer Frau unterhielt. Offensichtlich hatte das Leben mit einem Colonel als Vater auf ihn abgefärbt.
Der Mann, den sie am besten kannte, war Sanders McCullin, und der war so verschieden von Jack Prescott, wie es nur möglich war. Sanders war groß, wenn auch nicht so groß wie Prescott, blond, auf klassische Weise gut aussehend und unglaublich elegant.
Wenn Caroline nur die Hälfte des Geldes besäße, das Sanders jeden Monat für Kleidung ausgab, hätten ihre finanziellen Sorgen ein Ende. Natürlich könnten ihre Geldschwierigkeiten schon morgen vorüber sein, das hatte Sanders ihr deutlich zu verstehen gegeben, erst recht jetzt, wo der arme Toby nicht mehr lebte. Wenn sie Sanders heiraten und Mrs McCullin werden würde, würde ihr Leben sofort wieder so sein wie zu der Zeit, bevor ihre Eltern gestorben waren. Sicher, geborgen, angenehm und wohlhabend.
An schlechten Tagen, so wie heute, da die Kippings nun fort waren und da sie höchstwahrscheinlich in ein eiskaltes Haus zurückkehren würde, das bis Montagnachmittag eiskalt bleiben würde, weil der Depp der Einzige auf der ganzen Welt war, der ihren Heizkessel wenigstens zeitweise wieder zum Leben erwecken konnte, er aber an Feiertagen keine Hausbesuche machte; da sie an diesem Heiligabend nicht einen einzigen Kunden hatte und ihr lediglich die Aussicht auf einen einsamen Weihnachtstag blieb – an Tagen wie diesen schien es also durchaus vernünftig zu sein, Sanders zu heiraten.
Natürlich abgesehen von der unbedeutenden Tatsache, dass sie ihn nicht liebte – kein bisschen. Aber das bewies nur, dass sie tatsächlich verrückt war. Denn die Hälfte aller Frauen der Stadt träumte davon, mit Sanders zu schlafen, und die andere Hälfte hatte es bereits getan.
Und jetzt untermauerte sie die Trotteltheorie auch noch, indem sie einfach einem Unbekannten vertraute. Das Einzige, was sie über Jack Prescott wusste, war, dass er in dieser Stadt fremd war und sehr wenig Geld hatte. Und mit diesem Wissen, was hatte sie da gemacht? Sie hatte ihm die Schlüssel überreicht, ganz höflich, weil er darum gebeten hatte.
Was sagte das über sie?
Wenn er ihr Auto klaute, wie sollte sie dann bloß nach Hause kommen? Sie würde hier festsitzen, bis eine Wetterbesserung eintrat, mit nichts zu essen als einem mehrere Wochen alten Joghurt, Cola light und einem verschrumpelten Apfel in ihrem kleinen Kühlschrank. Bei diesem Wetter würde mit Gewissheit kein Taxi unterwegs sein und …
Sie zuckte zusammen, als jemand heftig ans Fenster klopfte. Eine Sekunde später stand Jack Prescott wieder vor ihr, von oben bis unten mit Schnee bedeckt. Sein langes schwarzes Haar war weiß gepudert. Sogar seine schwarzen Wimpern waren jetzt weiß, doch er gab in keiner Weise zu erkennen, dass ihm etwa kalt gewesen wäre. Nichts wies auch nur darauf hin, dass er sich unwohl gefühlt hätte. Er sah genauso aus wie zuvor – zäh und unabhängig.
»Ich hab den Wagen gleich vor dem Laden geparkt.« Er war ihr so nahe, dass Caroline den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen zu sehen. »Da draußen herrscht das reinste Chaos, also sollten wir uns beeilen. Ist Ihnen in diesem Mantel auch warm genug?«
Was für eine Frage von jemandem, der nur eine Jeansjacke trug!
»Ja, mir geht’s gut.« Sie nahm ihre schwere Aktentasche von der einen in die andere Hand und war überrascht, als er sie ihr einfach abnahm. Er trug doch schon seinen Seesack und einen Koffer. »Das geht schon!«, protestierte sie. »Die kann ich tragen.«
Er antwortete nicht einmal. »Müssen Sie noch die Alarmanlage anstellen, bevor wir gehen?«
Alarmanlage. Na klar doch! Mh-mhh. Als ob sie dreitausend Dollar für eine Alarmanlage übrig hätte, um gierige Diebe abzuschrecken, die es auf die gesammelten Werke von Jane Austen und sämtliche Bücher von Nora Roberts abgesehen hatten.
»Nein. Ich … äh, ich schließ einfach nur ab.« Sie hielt ihren Sicherheitsschlüssel hoch. »Aber es gibt auch noch einen Riegel.«
Er sah sie einfach nur mit undurchdringlichem Blick an und nickte, als er den Schlüssel nahm. »Okay. Ich schließe ab. Wenn Sie Handschuhe dabeihaben, ziehen Sie sie an. Ich habe den Motor laufen lassen, im Auto ist es also warm. Wir beeilen uns besser.«
Er schien einfach so … das
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