Gefährliches Geheimnis
Berichten und Nach- schlagewerken überhäuft war. »Mrs. Becks Vater ist ein berühmter Rechtsanwalt«, sagte er leise. »Wird wahr- scheinlich fürs Unterhaus kandidieren, was man so hört.«
Monk war überrascht. Er überspielte es rasch, bevor Runcorn den Blick wieder hob. Das gab dem Fall ein anderes Gewicht. Wenn Kristians Frau gesellschaftliche Verbindungen hatte, würden alle Zeitungen über ihre Ermordung berichten. Man würde eine rasche Verhaftung erwarten. Derjenige, der die Ermittlungen leitete, würde im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen und das Lob oder die aus Angst geborenen Vorwürfe abbekommen. Kein Wunder, dass Runcorn nervös war.
Monk steckte die Hände in die Taschen und entspannte sich. Er nahm sich jedoch nicht die Freiheit, sich unaufgefordert auf einen Stuhl zu setzen, was ihn ärgerte. Früher hätte er sich selbstverständlich gesetzt. »Das ist bedauerlich«, bemerkte er ruhig.
Runcorn sah ihn misstrauisch an. »Was meinen Sie damit?«
»Ermittlungen sind leichter durchzuführen, wenn die Zeitungsreporter nicht ständig überall herumtrampeln oder der Polizeichef Ergebnisse erwartet, bevor man überhaupt angefangen hat«, erwiderte Monk.
Runcorn wurde blass. »Das weiß ich, Monk! Das müssen Sie mir nicht sagen! Entweder rücken Sie mit etwas raus, was uns weiterhilft, oder Sie verschwinden und suchen verloren gegangene Hunde oder was auch immer Sie heutzutage machen!« Augenblicklich brannte das Bedauern in seinen Augen, aber er konnte die Worte nicht zurücknehmen, und Monk war der Letzte, vor dem er einen Fehler zugegeben, geschweige denn, den er um Hilfe gebeten hätte.
Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Monk Runcorns Unbehagen womöglich genossen, aber jetzt war er auf seine Kooperationsbereitschaft angewiesen. Wie groß die gegenseitige Abneigung auch war, keiner wusste, wie er sein Ziel ohne den anderen erreichen sollte.
Runcorn war der Erste, der nachgab. Er griff nach einer Feder, obwohl kein Papier vor ihm lag. Seine Finger hielten sie fest umklammert. »Also, wissen Sie nun etwas Nützliches oder nicht?«
Monk war überrascht über die Direktheit der Frage, und er erkannte in Runcorns Blick, dass er es bemerkt hatte. Monk musste ihm diesen kleinen Sieg gönnen. Es war die einzige Möglichkeit, den nächsten Schritt zu machen.
»Noch nicht«, gab er zu. »Sagen Sie mir, was Sie bisher haben, und wenn ich behilflich sein kann, will ich das gerne tun.« Jetzt setzte er sich, schlug die Beine übereinander und wartete.
Runcorn schluckte seine Gereiztheit hinunter und berichtete. »Acton Street Nummer zwölf. Putzfrau fand heute Morgen, als sie gegen halb neun hereinkam, zwei Leichen. Beide etwa Ende dreißig, wie der Sergeant schätzte, und beide durch Genickbruch getötet. Sieht aus, als hätte es einen Kampf gegeben. Der Teppich war verrutscht, ein Stuhl lag auf dem Boden.«
»Wissen Sie, welche der beiden Frauen zuerst umgebracht wurde?«, unterbrach Monk ihn.
»Unmöglich festzustellen.« In Runcorns Stimme lag Ärger, aber nicht in seiner Miene. Er wollte Monks Hilfe – egal, welche Gefühle sie füreinander hegten, er wusste, dass er sie brauchte –, und im Augenblick hatte das den Vorrang vor ihrer gemeinsamen Vergangenheit. »Die andere Frau war anscheinend Allardyces Modell, sie lebte zeitweilig bei ihm.« Er ließ den Satz mit all seinen hässlichen Untertönen im Raum stehen.
Monk redete nicht um den heißen Brei herum. »Es sieht also nach einer Eifersuchtsgeschichte aus.«
Runcorn zog die Mundwinkel nach unten. »Das Modell war nur halb angezogen«, räumte er ein. »Und Allardyce war heute Morgen nirgendwo auf zutreiben. Er tauchte gegen zehn auf und sagte, er wäre die ganze Nacht unter- wegs gewesen. Hatte noch nicht die Zeit, zu überprüfen, ob das stimmt.« Er legte die Feder wieder weg.
»Klingt unwahrscheinlich«, bemerkte Monk. »Warum ging Mrs. Beck zu einer Porträtsitzung, wenn er nicht da war? Und wenn er nicht da war, als sie in sein Atelier kam: Sie ist doch keine Frau, die herumsitzt und sich mit dem Modell unterhält?«
»Nicht, wenn das der einzige Grund dafür war, dass sie dort war.« Runcorn biss sich auf die Lippe, seine Not stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er brauchte Monk nicht zu erklären, mit welchen Fallstricken ein Polizist konfrontiert war, der beweisen musste, dass die Tochter eines bedeutenden Mannes eine Affäre mit einem Künstler hatte, und zwar eine so schäbige, dass sie in einem Doppelmord geendet
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