Gefährliches Geheimnis
die Situation und nahm an, sie wäre bei einem sexuellen Stelldichein hereingeplatzt. Sie verehrte mich … so wie ich sie verehrte! Sie ertrug es nicht …«
Monk konnte sich das nur allzu leicht vorstellen. Elissa, voller Scham über ihre unkontrollierbare Spielwut, fand plötzlich ihren angebeteten Vater, der in ihren Augen sein Leben so vollkommen und tugendhaft meisterte, in den Armen einer betrunkenen, halb nackten Frau. »Sie stürzte sich wütend auf Sie, weil Sie ihr Idealbild von Ihnen zerstörten, weil Sie ihre Träume verrieten. Das vermeintlich so glänzende Idol war in Wahrheit nichts als Stroh und Pappmache!«
Pendreighs Stimme war kaum mehr als ein Seufzen. »Ja.«
»Und Sie töteten sie unbeabsichtigt?«
»Ja!«
»Aber Sarah Mackeson haben Sie vorsätzlich umge- bracht!«, platzte es aus Runcorn heraus, dessen Gesicht vor Wut und einem Schmerz, den er nicht auszudrücken wusste, zerfurcht war. »Sie haben diese Frau nur getötet, weil sie Sie gesehen hat! Sie haben sie gepackt und ihr den Hals umgedreht, bis er gebrochen war!«
Pendreigh starrte ihn an. »Ich musste! Sie hätte es Allardyce erzählt, und das hätte mich ruiniert! Sie hätte all das Gute, was ich hätte tun können, verhindert!«
Runcorn schüttelte den Kopf. »Nein, wahre Freunde hätten zu Ihnen gestanden.«
Pendreigh schien noch einmal alle Kraft zu sammeln.
»Freunde! Sie Idiot. Ich hätte es ins Unterhaus geschafft! Ich hätte Gesetze ändern können. Wissen Sie, wie leicht es für einen habgierigen Mann ist, alles an sich zu reißen und eine Frau mittellos zurückzulassen? Wissen Sie das?«
Runcorn sah ihn blinzelnd an. »Das hat nichts damit zu tun.«
»Hat es doch!« Pendreigh seufzte, und sein Atem wurde schwerer, in seiner Brust rasselte es. Der Schatten des Todes lag auf seinem Gesicht. »Eine Frau geopfert … ich habe es mir nicht ausgesucht, aber es ging nicht anders … um Gerechtigkeit für Millionen zu erreichen!«
»Und Kristian?«, fragte Monk. »Ist es die Sache auch wert, dass er hängt … wegen zweier Morde, die er nicht begangen hat? Was ist mit all den Kranken, die er heilen kann? Was ist mit den Entdeckungen, die er womöglich macht, die Millionen heilen? Was ist mit der Tatsache, dass er unschuldig ist? Was ist mit der Wahrheit?«
»Ich hätte …«, setzte Pendreigh an. Er beendete den Satz nicht. Er stieß den Atem in einem langen Seufzer aus, und seine Augen brachen.
Vollkommene Stille erfüllte den Raum, und Hester beugte sich vor, strich ihm mit der Hand über das Gesicht und schloss ihm die Augen.
»Gott steh uns bei«, sagte Runcorn flüsternd. Er schluckte schwer und wandte sich zu Monk. »Ich gehe und sage es ihnen … und … und hole einen Constable.«
»Vielen Dank«, meinte Monk. Er berührte Hester am Arm. Innerlich empfand er die Erleichterung, die die Auf- lösung eines Falls immer mit sich brachte, aber noch keinen Sieg. Kristian würde natürlich freigelassen werden, aber er musste trotzdem erschütternde Wahrheiten akzeptieren.
Während Monk sich dies durch den Kopf gehen ließ, wurde ihm bewusst, dass er das dringende Bedürfnis empfand, seine eigenen Wurzeln zu kennen, die Bedeutung seiner Identität, die nur in Schatten und Fetzen in seinem Bewusstsein verankert war. Wer war seine Familie? Wo in der Geschichte ihres Landes hatte sie ihren Platz? Was hatte sie geglaubt? Wofür hatte sie gelebt, war sie gestorben? Was hatte sie anderen gegeben?
Es reichte nicht, Fragen zu stellen, er musste sich daran- machen, auch die Antworten zu suchen. Die Wahrheit über andere Menschen war wichtig. Das war seine Arbeit. Aber die Wahrheit über ihn selbst? Wer waren die Menschen, mit denen er sich so hätte verbunden fühlen sollen wie Hester mit Charles? Wo waren seine Blutsbande in die Vergangenheit?
Runcorn kam zurück und schloss die Tür hinter sich. Er sah zuerst Hester, dann Monk an.
»Sind Sie in Ordnung?«, fragte er.
»Ja, selbstverständlich«, antwortete Monk und verstärkte seinen Griff um Hesters Arm.
»Gut«, meinte Runcorn. »Ich habe einen Constable mitgebracht, ein weiterer ist unterwegs.« Er warf einen
Blick auf die Gestalt im Bett. »Was für eine schreckliche Vergeudung«, sagte er und schüttelte leicht den Kopf. »Er hätte so viel erreichen können.« Er wandte sich wieder Monk zu. »Die Köchin ist aufgestanden und macht uns eine Tasse Tee«, fügte er hinzu. »Sie sehen aus, als könnten Sie eine gebrauchen.«
Monk sah Freundlichkeit in Runcorns
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