Gefaehrliches Schweigen
oben.
„Wollen wir raufgehen und nachschauen?“, schlug ich vor.
„Nein!“, zischte sie.
Fast hätte ihre Angst mich angesteckt, aber ich weigerte mich, klein beizugeben. Ich musste eine Erklärung für diese Schritte finden.
Hirngespinste verscheucht man besten mit Licht. Also machte ich den Kristallleuchter an der Decke an. Die Prismen funkelten blendend hell.
Die alte Frau stöhnte auf, als hätte sie einen Schlag erhalten.
„Mach sofort aus!“
„Gespenster scheuen das Licht“, erklärte ich und versuchte meiner zitternden Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen.
Zwar fürchte ich mich manchmal vor der Dunkelheit, aber im Moment waren Gespenster meine geringste Sorge. Dagegen überlegte ich, ob ein Einbrecher durch das Kellerfenster hereingekrochen sein könnte. Das war schließlich denkbar einfach. Dass ich selbst hier stand, war ein Beweis dafür.
Mit einem kühnen Schritt trat ich in die Dunkelheit der Eingangsdiele hinaus. Das Licht des Kronleuchters fiel auf ein seltsames Figürchen, das auf der Dielenkommode thronte. Es sah aus wie ein Affe und war mit Gold und glitzernden Edelsteinen verziert, die echt wirkten. Besonders schön fand ich es allerdings nicht.
Ich machte in jedem Zimmer im Erdgeschoss Licht, sogar auf dem Klo, bevor ich zu der alten Frau zurückkehrte.
„Hier ist niemand.“
Sie erhob sich vorsichtig und sah sich misstrauisch um.
„Doch, oben auf dem Dachboden.“
„Ich geh mal rauf und schau nach.“
Meine Worte schienen sie zu beruhigen. Sie ging in die Küche, wo ich sie bald mit Töpfen klappern hörte.
Ich schlich die knarrende Treppe nach oben und fragte mich dabei, was eigentlich in mich gefahren war. Wenn sich jetzt ein Irrer mit bösen Absichten auf dem Dachboden versteckt hatte! Trotzdem ging ich weiter.
Im Obergeschoss gab es vier offene Türen. Drei davon führten in karg möblierte Zimmer, die vierte in das Schlafzimmer der alten Frau. Ein gehäkelter Überwurf bedeckte das Bett und auf einem Holzstuhl vor dem Schreibtisch lag ein Kleidungsstück. An der Wand hing ein Hochzeitsfoto, das eine schlanke dunkelhaarige Frau an der Seite einesblonden Mannes im dunklen Anzug zeigte. Sie lachte ihn an und sah hübsch und glücklich aus. War das Frau Asp?
Und wo war dann dieser Mann? War er gestorben?
Ich hörte keine Schritte, sah auch niemanden, aber dennoch hatte ich das unheimliche Gefühl, hier oben nicht allein zu sein. Schnell spähte ich unters Bett.
Leer.
Nicht einmal Staubflusen.
Aber wenn ich mich unerlaubt in einem fremden Haus aufhielte, würde ich es schließlich auch nicht riskieren, mich unter einem Bett zu verstecken. Dort sucht man immer als Erstes.
Irgendwo in der Nähe knarrte der Fußboden. Ich fuhr zusammen. Mein Herz klopfte wie wild. Am besten, ich floh, solange noch Zeit war.
Plötzlich war von unten ein dumpfer Schlag zu hören, gefolgt von einem durchdringenden Schrei.
Ich vergaß meine eigene Angst und lief zur Treppe.
„Was ist passiert?“, rief ich, während ich nach unten spähte.
Keine Antwort.
Ich brauchte zwei Sekunden, um hinunterzustürzen.
„Frau Asp?“
Sie lag auf dem langen Flickenteppich in der Diele.
„Was ist mit Ihnen?“
Ich beugte mich über sie.
Im selben Moment hörte ich Schritte auf der Haustreppe. Jemand steckte einen Schlüssel ins Schloss, dann trat eine Frau ein. Sie schien mindestens zehn Jahre älter als meine Mutter zu sein und hatte graue Strähnen im kurz geschnittenen dunklen Haar. Sie war einen Kopf kleiner als ich und genauso dünn wie Frau Asp.
Wir standen da und starrten einander an. Aber nur ganz kurz.
„Was ist mit Frau Asp passiert?“, fragte sie mit besorgter Stimme.
Ich wollte gerade versuchen, alles zu erklären, als Frau Asp zu jammern begann.
„Hiilfe!“, wimmerte sie. „Die da hat meinen Schmuck gestohlen!“
Die fremde Frau durchbohrte mich mit eiskaltem Blick.
„Und meine Tannenhecke hat sie auch angesteckt!“, heulte die Alte.
„Aber hallo!“, protestierte ich laut. „Das haben Sie total missverstanden. Ich wollte doch helfen …“
„Diebin!“, schrie Frau Asp. „Brandstifterin!“
Ich hob beschwichtigend die Hände.
„Bitte! Frau Asp hat Schritte gehört. Und ich hab ihr geholfen nachzuschauen, ob jemand dort oben ist.“
Die fremde Frau musterte mich immer noch misstrauisch.
„Das stimmt wirklich!“, beharrte ich etwas schrill. „Ich war gestern hier …“
„Sie hat gedroht, mich umzubringen, und die Hecke in Brand gesetzt!“,
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