Gefaehrliches Schweigen
digitalen Ziffern des Weckers leuchteten mir entgegen.
02:37.
Die Nacht war noch lang. Ich hatte endlos Zeit zum Grübeln.
Was sollte ich tun, wenn die Alte die Polizei angerufen hatte? Die würden mir niemals glauben. Dass kurz nach meiner Drohung eine Gruppe Jungs sehr gelegen aufgetaucht war und versucht hatte, diese Drohung in die Tat umzusetzen, das klang ja wie die hinterletzte Notlüge. Niemand außer mir hatte die Jungs gesehen. Und ich hatte keinen blassen Schimmer, wer sie waren, wusste bloß, dass sie groß waren und dunkel gekleidet und dass einer, der an Simon erinnerte, dabei gewesen war.
Nicht unbedingt der Traum eines Strafverteidigers. Wenn ich überhaupt einen bekommen würde.
Meine einzige Chance war, rechtzeitig, bevor die Polizei mich ausfindig machte, dahinterzukommen, wer die Jungs waren, und dafür zu sorgen, dass sie gestanden.
Ich schnaubte verbittert vor mich hin. Warum sollten sie das tun? Wer wollte schon geschnappt werden? Und wie sollte ich es schaffen, sie zu finden? Das Einzige, was ich wusste, war, dass sie dunkel gekleidete, groß gewachsene Schlägertypen waren, die sich lärmend unterhielten. Auf welchen Jungen aus der Oberstufe trifft das nicht zu?
Meine Zukunft sah finster aus.
Sehr finster.
Ich lag in der Dunkelheit in meinem Bett – ein Himmelbett mit weißen Tüllvorhängen und Volants. Reichlich kindisch für eine Vierzehnjährige, aber gleichzeitig eine kostbare Erinnerung an die Zeit, als Papa noch gern schreinerte.
Die Minuten bewegten sich quälend langsam auf den Zeitpunkt zu, da der Wecker mich von meinen Grübeleien erlösen würde.
Los, mach schon! Läute endlich!
DIENSTAG
Am folgenden Tag erzählte ich Jo von meinem verheerenden Abend.
Seit jenem Spätsommertag vor gut sieben Jahren, als ich Mamas Hand losließ und mit anderen Erstklässlern zusammengepfercht wurde, ist Jo meine beste Freundin. Wir zwei, Afrodite Svea Andersson und Jolene Jones, über deren Namen die Klassenkameraden kichern mussten, wurden nebeneinander platziert. Und so sitzen wir immer noch.
Jo wohnt ein paar Kilometer weiter südlich auf einem Pferdehof. Sie hat ein eigenes Pferd, mit dem sie an Turnieren teilnimmt. Ich selbst habe allerdings noch kein einziges Turnier gesehen. Das liegt nicht daran, dass ich keine Lust habe – ich mag Pferde zwar nicht besonders, mag Jo dafür umso mehr –, sondern daran, dass die Turniere meistens weit entfernt von Stockholm stattfinden.
Während wir dem Strom der Schüler zur Schule folgten, haspelte ich alles heraus, was ich erlebt hatte. Sie hörte zu, ohne mich zu unterbrechen. Das macht sie immer so.
„Wenn du wüsstest, wie sehr ich das alles bereue“, stieß ich als Abschluss kläglich hervor.
Sie lächelte mich mit ihrem schönen weißen Lächeln an.
„Aber hallo! Du hast die Alte doch gerettet! Wenn das nicht super ist!“
Wir wurden von Gelächter und Gejohle unterbrochen, das dem gestrigen Gebrüll täuschend ähnlich klang.
Ich warf einen kurzen Blick über die Schulter. Elias, Axel und zwei andere Jungs aus der Neunten näherten sich mit schweren Schritten. Da konnte man nur noch ausweichen, sonst wurde man beiseitegestoßen.
Elias und Axel sind große, kräftige Jungs, die in den Schulmannschaften Hockey und Basketball spielen. Dank der genialen Idee desRektors, die Schüler der Achten und Neunten jedes Halbjahr in einem Freundschaftsspiel gegeneinander antreten zu lassen, weiß ich, wie es sich anfühlt, von ihnen angerempelt zu werden.
Das letzte Brennballspiel fiel nicht besonders freundschaftlich aus. Ich hatte hinterher noch wochenlang blaue Flecken. Ich war Mannschaftskapitän, und die Jungs, angeführt von Elias, legten sich mächtig ins Zeug, um ausgerechnet mich anzugreifen.
„Waren es womöglich Elias und seine Kumpel, die du gesehen hast?“, flüsterte Jo.
„Keine Ahnung“, flüsterte ich zurück. „Kaum.“
„Puh!“, seufzte sie.
„Was ist?“
„Hab schon befürchtet, du wolltest ihn zur Rede stellen, da mach ich nämlich nicht mit.“
„Verräterin.“
„Will bloß meine eigene Haut in Sicherheit bringen“, gab sie bereitwillig zu. „Nicht alle sind so mutig wie du.“
Ich?
„Aber vor Elias braucht man doch keine Angst zu haben. Der ist doch bloß … groß.“
„Genau. Und die anderen sind genauso groß. Und ich bin klein und dünn.“
Die Jungs hatten uns eingeholt. Sie kamen von jeder Seite zu zweit hinter uns an. Der Fußweg wurde von hohen Schneewällen gesäumt. An dieser
Weitere Kostenlose Bücher