Gefährliches Spiel der Versuchung
Ausrutscher rächen wollten? Oder war es ein eher irdischer Dämon, der ihm gerade einen imaginären Dreizack in den Schädel rammte?
Orlov wurde einfach das Gefühl nicht los, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Dennoch konnte er nicht den Finger darauflegen. Das Gefühl war so unbestimmt wie die Gegenströmungen des Nebels, der aus der See aufstieg. Unmöglich zu greifen; aber beim Anblick des Wirbels jagte ihm ein Schauder in den Nacken. Es mochte sein, dass es sich lediglich um die Folgen der Seekrankheit handelte.
Aber nein, das glaubte er nicht.
Der Instinkt, sein untrüglicher sechster Sinn für das Überleben, hatte ihn in der Vergangenheit immer vor drohenden Gefahren gewarnt. Er hatte gelernt, diesen seltsamen Schaudern zu vertrauen - ein großer Sprung für jemanden, der mit boshaftem Blick auf die Welt blickte. In seinem Beruf zählte Vertrauen nicht unbedingt zu den nützlichen Eigenschaften. Die Lüge war ihm zur zweiten Natur geworden ...
In der Absicht, solch beunruhigende Grübeleien auf Distanz zu halten, presste Orlov die Fingerspitzen an die pochenden Schläfen. Es geschah nur selten, dass er die Moral seiner Taten infrage stellte. Richtig oder falsch? Gut oder böse? Ein echter Gentleman würde vielleicht daran glauben, dass es nur das eine oder andere geben könne. Aber ihm schien es, als bestünde die Welt nicht aus Schwarz oder Weiß, sondern eher aus unendlich abgestuftem Grau.
Trotz allem besaß auch Orlov eiserne Grundsätze. Obwohl er sich hüten würde, es laut auszusprechen, gab es Dinge, die ihm wichtig waren - zum Beispiel achtete er darauf, dass seine Taten halfen, die Ausbreitung der Tyrannei und Ungerechtigkeit zu verhindern. Denn so würde seine gottverlassene Seele vielleicht nicht in ewiger Verdammnis schmoren müssen.
Er schnitt eine Grimasse. Der Allmächtige mochte ihm vielleicht Vergebung gewähren. Aber es gab da eine junge Lady, die sich nach nichts mehr sehnte als danach, seine Seele - oder wahrscheinlich eher seine Leber - über dem heißesten Rost in der Hölle schmoren zu sehen. Nicht dass er ihr Vorwürfe machen konnte. Während seines letzten Auftrags hatte er mehrere ungewöhnliche Fehler gemacht; eine Tatsache, die unter Umständen auch zu seiner gegenwärtigen Unpässlichkeit beitrug.
Ließ seine Anziehungskraft etwa nach?
Verdammter Yussapov! Und verdammt waren die plötzlichen Aufwallungen seines englischen Ehrgefühls! Die unruhige See hatte die seltsamste Mischung von Gefühlen in ihm ausgelöst. Vor seinem geistigen Auge erschien plötzlich das bärtige Gesicht des Prinzen, das sich in die Vision einer blonden Kriegerin verflüchtigte, aus der dann ein aufsteigender Falke wurde. Hoch aus dem Himmel drang ein Schrei zu ihm, verfluchte ihn für all seine Untaten.
Dass es wie ein Echo auf manche seiner jüngsten Grübeleien wirkte, verstärkte nur die Anschuldigungen. Aber der russische Teil seiner Seele wusste, wie man solch melancholische Stimmungen ertränken konnte.
Brummend stieß Orlov einen Fluch aus und griff nach der Flasche mit dem hochprozentigen Inhalt.
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3. Kapitel
D iese gottverlassene Gegend Irlands ist nichts für schwache Nerven.
Shannon ließ den Blick über die bedrohlichen Steine schweifen. Lynsley hatte nicht übertrieben, was die Isolation der McGuillicuddy Reeks betraf. Die Trostlosigkeit, korrigierte sie sich. Die Hungersnot hatte die bitterarmen Sumpfgebiete wüst und leer zurückgelassen. Obwohl eine düstere Schönheit über der Landschaft lag, war ihr klar, dass die karge, feindselige Umgebung es den Menschen nahezu unmöglich machte, sich hier durchzuschlagen.
Shannon richtete die Aufmerksamkeit wieder auf die wettergegerbten Mauern des Bollwerks der O'Malleys, lenkte das Fernrohr auf einen der äußeren Türme. Zwischen dem Fuß des Turmes und einem kleinen Eichenhain war ein schlichter Garten angelegt. Das Geäst würde ihre Annäherung verdecken, während das turmartige Dach einen ausgezeichneten Anker für ihr Kletterseil bot. Lynsleys Spion hatte ihr berichtet, dass die Bibliothek im ersten Stock nur selten genutzt wurde. Dort würde sie dann einen kleinen Korridor finden und eine Verbindungstreppe zu den Kammern, in denen der französische Attentäter untergebracht war.
Ihre eigene Beobachtung hatte bestätigt, dass die Bibliothek in der Nacht verlassen dalag. Nur zu gern hätte sie jede Einzelheit der Skizze überprüft, die ihr
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