Gefährliches Talent: Kriminalroman
das Bild gefälscht war – zwischen all dem bestand eine Verbindung. Und dass dann auf einmal dieser durchtriebene Schleimer Roland de Beauvais auftauchte, war auch kein Zufall. Und im Mittelpunkt des Ganzen, dessen war sie sich so sicher wie nie, stand das O’Keeffe-Gemälde. Es war das Bindeglied zwischen all diesen Vorfällen.
Das Bild … dieses verdammte Bild … War es tatsächlich eine Fälschung? Sie war sich nicht mehr so hundertprozentig sicher wie auf der Polizeiwache, aber das lag nicht an dem Bild selbst, sondern an dem Etikett der Galería Xanadu auf der Rückseite. Es wies darauf hin, dass das Bild eine (vermutlich) legitime Galerie in Albuquerque durchlaufen hatte und dort wahrscheinlich auch verkauft worden war. Es war doch damals sicher auch einer Echtheitsprüfung unterzogen worden. Die musste es wohl bestanden haben. Das stimmte sie nachdenklich. Hatte sie ihr sonst so zuverlässiger Kennerblick diesmal im Stich gelassen?
Andererseits war auch eine angesehene Galerie keine Garantie für die Echtheit eines Bildes, schon gar nicht im Fall von Georgia O’Keeffe. Es war gar nicht so lange her, dass ein bekannter, sehr renommierter Kunsthändler dem Philanthropen R. Crosby Kemper aus Kansas City für fünf Millionen Dollar vierundzwanzig von achtundzwanzig »neu entdeckten« Aquarellen der Malerin verkauft hatte. Zuvor waren sie von verschiedenen Experten mit wissenschaftlichen Methoden auf ihre Echtheit geprüft worden und hattensogar zwei Jahre lang als sogenannte
Canyon Suite
einen Ehrenplatz in der National Gallery gehabt. Trotzdem stellten sie sich zu guter Letzt als Fälschungen heraus. Alles ein Riesenschwindel.
In gewisser Weise war es die Schuld der Künstlerin selbst, dass so etwas passieren konnte. Sie war bekanntermaßen sehr verschlossen gewesen. Niemand durfte ihr Atelier besuchen oder ihr bei der Arbeit zusehen. Deshalb wusste auch niemand, ob sie irgendwo insgeheim Bilder verstaut hatte und wenn ja, wie viele. Nach ihrem Tod fand man eine gigantische Zahl von Werken in ihrem Atelier: weit über tausend Bilder. Aber gab es außer diesen Neuentdeckungen noch andere, von denen niemand etwas wusste? Bilder, die sie vielleicht ihren wenigen Freunden und Verwandten geschenkt oder selbst verkauft hatte? Niemand wusste, wie viele ihrer Gemälde darauf harrten, »neu entdeckt« zu werden, und wo man danach suchen sollte.
Deshalb bot das Werk der Künstlerin ein lohnendes Betätigungsfeld für fleißige Fälscher. Und die Experten, darunter auch eine gewisse Alix London, mussten möglichst unvoreingenommen an bis dahin undokumentierte O’Keeffe-Bilder herangehen. Spontanurteile waren vielleicht doch keine so gute Idee.
Aber all das war nicht der Grund für die dumpfen Schmerzen in ihren Schläfen und das leere Gefühl in ihrer Brust. Vielmehr war es ihre sogenannte Karriere, die ihr Sorgen machte und sie verwirrte. Wie konnte sich dieser tolle Auftrag, den ihr der Himmel geschickt zu haben schien, nur als ein solcher Albtraum entpuppen? Sie hatte gehofft, dies wäre ein erster Schritt dahin, endlich das mit ihrem Nachnamen verbundene Stigma loszuwerden. Stattdessen wurde sie in einen Mordfall verwickelt und das Opfer war auch noch eine bekannte Galeristin. Das würde auf jeden Fall in der Kunstszene für Aufsehen sorgen und vielleicht sogar landesweit Schlagzeilen machen. Als ob ein Mord nicht schon genug wäre, hatte sie es jetzt auch noch mit einem gefälschten O’Keeffe-Bild zu tun. Bald würden sich Leute im Kunstbetrieb überall im Land mit hochgezogenen Augenbrauen ansehen und sagen: »Also das überrascht mich überhaupt nicht. Sie wissen doch sicher, wer der Vater ist …?«
Und dann würden sich die Klatschtanten und Gerüchteköche auf die Geschichte stürzen, um das zu tun, was sie immer taten: ausschmücken, aufblasen und andeuten. Dann konnte sie sich von ihrer gerade erst aufkeimenden Karriere verabschieden. Wenn die mit ihr fertig waren, würde sie keiner mehr mit der Kneifzange anfassen.
Schließlich heißt es
, so würde man sagen,
wo Rauch ist …
Sie schloss die Augen und massierte mit sanften, kreisförmigen Bewegungen ihre Schläfen. Viel half es nicht. Wahrscheinlich zerriss man sich jetzt schon die Mäuler über sie.
Sollen sie doch!
Sie konnte auch nichts daran ändern. Sie nahm an, die Polizei würde die ganze Sache irgendwann aufklären, aber »irgendwann« konnte noch eine Ewigkeit hin sein, wenn sie erst ihre Hypothese vom verdrossenen Ex und die
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